Mai 2018 / ADAC Reisemagazin / Text

Drahtseilakt

Schneller, höher – eleganter. Lifestyle spielt auch bei der Beförderung von Wintersportlern eine immer größere Rolle. Und so entstand in Gröden eine neue Bergbahn, designt von Pininfarina

Igor Marzola ist nervös. Das ist nicht leicht zu erkennen bei einem Mann, der trotz imposanter Statur selten Ruhe ausstrahlt, immer in Bewegung ist, zu Fuß, auf seinem Schneemobil oder in dem viel zu kleinen Geländewagen. „Ich bin aufgeregt“, sagt er an diesem Tag im Oktober. Die ersten Exemplare der Symphony 10 treffen ein. Verspätet, denn irgendwo in Frankreich standen die Sattelschlepper im Stau. Immerhin: Die Sonne strahlt über Wolkenstein im Grödner Tal. Die Augen von Marzola glitzern wie die eines Fünfjährigen unterm Weihnachtsbaum.

 

Symphony 10 ist der Name der Kabinen seiner neuen Seilbahn Piz Seteur oberhalb von Wolkenstein, einem Zugang zum Skigebiet am Sellamassiv. Das Design ist von Pininfarina, drinnen warten zehn beheizte Ledersessel. „Weltneuheit!“, heißt es in der Pressemitteilung, Vergleichbares findet sich momentan nirgends. Ein neuer Beleg, wie in Skigebieten mittlerweile um die Gunst der Wintersportler gerangelt wird. Gut 30 000 Euro kostet eine einzige Kabine. Dafür bekäme Marzola einen soliden Geländewagen, der seiner Masse entspräche. Egal, Marzola hat lieber 81 Kabinen geordert, um bis zu 3450 Personen zu befördern. Pro Stunde. Bei Gesamtkosten von knapp 20 Millionen Euro nur ein kleiner Posten im Budget.

 

Und all das für einen Piep. „Jedes Mal, wenn es piept, bekomme ich Geld“, sagt Marzola. Aber eben auch nur dann. Der Piep ist zu hören, wenn die Skikarte das Drehkreuz öffnet, der magische Ton in der Gedankenwelt des Igor Marzola. Verantwortlich dafür ist die besondere Situation bei Dolomiti Superski, jenem Verbund von zwölf Skigebieten in den Dolomiten mit 1200 Pistenkilometern und 450 Liften. „Das attraktivste Skigebiet der Welt“, vermeldet die Website. Allerdings auch mit knapp 150 verschiedenen Liftbetreibern – Partnern oder auch Konkurrenten. Denn der Urlauber kauft einen Skipass, abgerechnet wird aber nach Anzahl der Benutzungen. Marzola muss also die Touristen aus den Wellnessbereichen ihrer Hotels locken, bei jedem Wetter, und am besten weg von den Liften der Konkurrenten. „Damit sie den Piep bei mir machen“, wie er sagt. Und dazu investiert er ständig in seine 60 Hektar Pistenfläche – in noch schöneren Kunstschnee, noch bessere Pisten und noch feudalere Lifte.

 

Begonnen hat alles im Jahr 2014, denn der Vierersessellift neben Marzolas Hotel Sella genügte nicht mehr den heutigen Ansprüchen. Und so rief Marzola Giorgio Pilotti an, wie immer, wenn er eine neue Seilbahn braucht. Pilotti ist „Vertriebsleiter Italien“ bei Leitner Ropeways in Sterzing. Zwar sei jede Seilbahn anders, sagt Pilotti, „aber natürlich gibt es Standards. Wir arbeiten mit Modulen, die wir für jeden Kunden neu kombinieren. Das funktioniert wie Lego“. Zwei Dinge würden immer wichtiger, sagt der Vertriebsleiter. Das eine sei der Komfort, das andere seien die ökologischen Aspekte, vor allem Lärm und Energieverbrauch. Was also will Marzola? Eine Kabinenbahn ist teurer als ein Lift, darf aber schneller fahren, hat eine höhere Kapazität und bietet mehr Komfort. Andererseits muss der Skifahrer sein Sportgerät abschnallen, was die Zahl der Pieps vielleicht verringert. Marzola hat die Kabinenbahn gewählt. Aber wenn schon, dann eine, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.

 

Auch bei der Mittelstation hat sich Marzola für ein Design von Pininfarina entschieden, die Talstation hat der renommierte Wolkensteiner Architekt Rudi Perathoner entworfen. Es wurde natürlich kein beliebiger Zweckbau, und Perathoner ist in seinem Element, wenn er von den Vorzügen der Holzfassade spricht, dem „ruhigen Dunkelbraun“ und der „dynamischen Form“, analog zur Dynamik des Skisports. Es sei immer eine Herausforderung, in den Bergen zu bauen, und man brauche Feingefühl, „damit sich so ein Gebäude ins Gelände schmiegt“.

 

An einem Sonntag im April 2017 endete die Skisaison. Am Montag danach begann Marzola mit dem Abriss der alten Liftanlage. Am 6. Dezember 2017, zum Beginn der neuen Skisaison, muss die Bahn fertig sein. Für Baustellenleiter Heinz Goller ist dieser Druck Alltag. Immerhin eine Woche Zeitpuffer konnte er einplanen. Aber schiefgehen darf nichts.

 

Jetzt, im Oktober, müssen die Symphony-10-Kabinen hoch zur Mittelstation, nur dort können sie eingehängt werden. Dazu bleiben sie auf dem Sattelschlepper, der wiederum an einen vierachsigen Gelände-Lkw gehängt wird, den 8×8, wieHeinz Goller ihn nennt. Auf den schmalen Bergwanderwegen wirkt diese Kombination unwirklich. „Aber es spart Zeit und Geld, weil man nicht umladen muss.“ Natürlich ist dabei höchste fahrerische Kunst gefragt. „Letztes Jahr, auf Schnee“, erinnert sich Goller, „ist der Sattelschlepper, der leer fast nichts wiegt, bergab am 8×8 vorbeigerutscht.“ Adrenalin in einem Job, bei dem er sonst viel disponieren, Material bestellen und koordinieren muss.

 

Für Michael Aschbacher ist das Leben eine Baustelle. Er ist Montageleiter und beaufsichtigt den Bau der Anlage am Berg. Ab und an „darf“ er auch selbst anpacken, „das ist dann wie Urlaub für mich“. Ansonsten arbeiten die Kollegen und Firmen, die er hier koordiniert, so professionell, dass er sie machen lassen kann. Das geht nicht immer, vor allem wenn er irgendwo in der Welt unterwegs ist. „Da muss ich dann vom kleinsten Schräubchen an alles überwachen.“ Und das kann überall sein: Aserbaidschan, Türkei, Südamerika. Im irakischen Kurdengebiet etwa, in Dohuk, konnte er seine Arbeit gerade so beenden, als aus der Ferne bereits das Artilleriefeuer zu hören war. Auch Kolumbien war so ein Abenteuer. Ski wird dort nicht gefahren, vielmehr lösen Seilbahnen die Probleme des öffentlichen Nahverkehrs mancher Metropolen und ermöglichen ärmeren Bürgern eine gewisse Mobilität. Auch ein Grund, warum Michael Aschbacher seinen Beruf so sehr liebt.

 

Ende August war er zum ersten Mal auf der Baustelle in Gröden. Da waren die Fundamente gerade fertig. Und er war zufrieden. „Ich hatte noch nie so gute Betonarbeiten wie hier“, sagt er. „Das ist Millimeterarbeit, bei der ein Vermesser gut arbeiten muss.“ Fünf Millimeter Abweichung könne er noch ausgleichen, sagt Aschbacher, bei zehn Millimetern werde es schwierig. Zehn Millimeter – bei Entfernungen von bis zu fünfzehn Metern.

 

Das Haus, in dem Aschbacher geboren wurde und aufwuchs, stand unter einer Seilbahn, schon als Kind baute er mit Hanfschnüren erste Modelle. Nach Militär, Schlosserlehre und Jobs als DJ war es vor gut 15 Jahren schließlich eine Fügung, dass die Leitner AG einen Montageleiter suchte. Seither lebt Aschbacher seinen Traum.

 

Auch für Igor Marzola war das berufliche Wirken quasi vorbestimmt. Sein Vater Gianni, ein erfolgreicher Rechtsanwalt aus Mailand, kam 1955 nach Gröden, weil er seit seiner Militärzeit in Meran die Dolomiten so liebte. Er stieg ins Skiliftgeschäft ein und gründete 1974 Dolomiti Superski. Der kleine Igor war damals drei Jahre alt. „Wenn du hier aufwächst, dann gehst du Ski fahren, anstatt Hausaufgaben zu machen“, sagt er heute und lacht.

 

Neben der Begeisterung für die Dolomiten hat Igor Marzola noch etwas anderes vom Vater übernommen: Er mag keine Eröffnungsfeiern. So begann der Betrieb am 6. Dezember 2017 ohne jede Besonderheit. Schade, denn Leitner-Vertriebsleiter Giorgio Pilotti hätte gern ein paar seiner Kollegen vorbeigeschickt. Kollegen, die weltweit im Einsatz sind, von Colorado bis China: die 30 Musikanten starke Leitner Werkskapelle.