September 2009 / PLAYBOY / Text

Yes, he can

Er will eine ganz neue Partei, eine ganz neue Politik, ach was, ein ganz neues Land: Martin Sonneborn mit seiner Partei Die PARTEI. Er ist für Steuererhöhungen – wenn der Wähler das will. Und dagegen – wenn der Wähler das nicht will. Beobachtungen aus einem etwas anderen Wahlkampf

Der Parteivorsitzende wühlt und kämpft sich durch die Menge, er lächelt sein Lächeln von der Stange. So stimmt man Wähler milde. Doch das Gemurmel, das Gerede und Gelache hört nicht auf, und der Parteivorsitzende wird ungehalten. Schließlich geht es hier ja nicht um irgendwas, es geht ums große Ganze. Der Parteivorsitzende hebt die Stimme, bittet, nur noch fast freundlich: „Vielleicht könnte da hinten mal einer Bescheid geben, dass hier Politik gemacht wird.“

 

Staatsmänner müssen manchmal auf den Tisch hauen.

 

Schnell kehrt Ruhe ein, und der Parteivorsitzende begrüßt seine Wähler und Fans: „Vielen Dank … hier in, äh, Dings, ich liebe diese Stadt so wie keine.“ Freundlicher Applaus. Wir sind in Köln.

 

Martin Sonneborn heißt der Parteivorsitzende, und seine Partei heißt PARTEI, Die PARTEI. Einerseits, sagt er, unterstreiche der Name „den Alleinvertretungsanspruch, den Willen, andere Parteien überflüssig zu machen“. Andererseits sagten ihm nicht wenige eintrittswillige Anrufer: „Schon mein Großvater war in der Partei, ich will auch zu euch.“ Mit den Bundesbürgern im Osten war das ähnlich. Zumal das offizielle PARTEI-Lied dort vielen bekannt vorkommt: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht . . .“

 

Seit 2004 mischt Die PARTEI (Kurzform für „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“) die deutsche politische Szene auf. Mit acht politikmüden Mann begann man; nun zählt Die PARTEI 8000 Mitglieder und hat zehn Landesverbände. Und auch am 27. September will man antreten.

 

Das Wichtigste an einer Partei? Das Personal und die Programmatik. Das Personal ist im Wesentlichen Sonneborn. „Und unser Programm haben wir bei den Grünen abgeschrieben und ein bisschen frisiert“, sagt Sonneborn.

 

Auf Seite 14 des Programms steht etwa: „Die fünf Länder Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sollen dabei zu einem starken Ost-Bundesland zusammengefasst werden. Um wirtschaftliche Impulse zu erzeugen, soll dieses neue, starke Bundesland eine Sonderbewirtschaftungszone (SBZ) bilden. (. . .) Diese Sonderbewirtschaftungszone (SBZ) soll auch baulich vom Rest der Bundesrepublik getrennt werden.“ Sprich: die Mauer möge doch bitte wieder aufgebaut werden. Sonneborn hat den Passus seinen politischen Weggefährten ohne Probleme unterjubeln können. „Das ist so durchgegangen. Die haben wohl nur bis Seite 13 gelesen“, vermutet er.

 

Doch Die PARTEI steht nicht allein da: „Wir sind der politische Arm des Faktenmagazins ,Titanic‘“, sagt Sonneborn. Lange Zeit war er Chefredakteur des Satiremagazins.

 

Schon damals hat er die deutsche Seele geprägt, wie sich an diesem Abend noch zeigen wird, wenn Sonneborn auf der Jagd nach Unterschriften auf der Straße von potenziellen Wählern erkannt wird. Einer plärrt ihm entgegen: „Ey, du hast doch die WM nach Deutschland geholt.“ Sonneborn lächelt huldvoll, sagt nur: „Ja, das stimmt.“ Und erklärt dann dem mehr oder weniger alkoholisierten Beobachter, dass dies „die Position der FAZ, der ,Tagesthemen‘ und Rudi Völlers“ sei. Er selbst jedoch sehe das differenzierter. Aber dass ein Fax der „Titanic“ Charles Dempsey, dem 78 Jahre alten Neuseeländer, bei der WM-Vergabe so zusetzte, dass er sich der Stimme enthielt und Deutschland somit knapp vorn lag, ist erwiesen. Die „Bild“-Zeitung veranstaltete daraufhin eine große Telefonaktion. Bei der konnte man Sonneborn und Kollegen mal die Meinung sagen. Mit einer WM, findet „Bild“, spaßt man nicht. Sonneborn sammelte die Meinungsäußerungen und brachte ein „Best-of“ auf CD heraus, mit Sprüchen wie diesem: „In einem Rechtsstaat gehören Leute wie Sie in ein KZ.“

 

Der PARTEI-Vorsitzende ist dennoch populär. Nicht nur wegen der WM. Potenzielle Wähler grüßen ihn, verwickeln ihn in politische Grundsatzdiskussionen. Auch wenn einer dieser politischen Laufkunden nicht davon abzubringen ist, dass es sich bei dem Herrn im Anzug um den bekannten Fernsehproduzenten Friedrich Küppersbusch („Raus aus den Schulden“) handeln müsse, und Sonneborn Stellungnahmen zum Zustand des deutschen Fernsehwesens abnötigt. Was Sonneborn dann auch kompetent erledigt. Denn er gibt dem Wähler, was der Wähler will. „Steuersenkungen“, sagt er, „würde ich niemals versprechen – außer wenn Sie das möchten.“

 

An diesem Abend verspricht er dies in einer dem Anlass, der Wichtigkeit der Fragen unwürdigen Lokalität. Es riecht nach Rauch und nach Hackbraten aus der Küche. Das Publikum trägt Bart, pink gefärbte Rastalocken und ausgebeulte Jogginghosen. Wahlkampf halt. Aber auch der ideale Ort, um an den „Bodensatz“, wie Sonneborn das Wahlvolk hier nennt, heranzukommen. Die von der PARTEI entwickelte Form des politischen Diskurses, „Trinker fragen – Politiker antworten“, ist wie gemacht für Lokalitäten wie diese.

 

Der Parteivorsitzende kennt und spielt seine Rolle als Staatsmann perfekt. Er betont immer die erste Silbe, trennt bedeutungsvoll und füllt so leere Worthülsen phonetisch mit Inhalt. Und bedankt sich artig für jeden noch so dahergelallten Einwurf: „Vielen Dank für diese Frage.“

 

Nur manchmal, da gerät die Fassade ins Rutschen, da presst er die Lippen aufeinander, als müsste er gleich losprusten. Aber schnell und professionell fängt er sich wieder und widmet sich mit dem gebührenden Ernst der wichtigen Frage eines verunsicherten Wählers.

 

„Ich habe nichts verstanden“, muss er zugeben, „aber ich bin dagegen.“ Applaus. „Und wenn ich sehe, wie uns das Sympathien bringt, so bin ich doppelt dagegen.“ Noch mehr Applaus. Martin Sonneborn kann sich sicher sein, wieder Wählerherzen erobert zu haben. Und er setzt noch einen drauf: „Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort. Ich wiederhole: mein Ehrenwort.“ Dass ihm hierbei eine erste Schweißperle die Schläfe hinunterwandert, mag an dem gleißenden Scheinwerfer und dem Billiganzug von C&A liegen, der zur inoffiziellen Parteikleidung avanciert ist. „Wenn wir an der Macht sind, werden alle solche Anzüge tragen“, verspricht Sonneborn nordkoreanische Verhältnisse in Deutschland.

 

2005 trat Die PARTEI erstmals zu einer Bundestagswahl an, wurde tatsächlich vom Wahlleiter zugelassen. Mit kumulierten 10.379 Stimmen blieb man zwar weit unter 0,1 Prozent. Und damit auch weit hinter der Tierschutzpartei, der Bayernpartei und der Gruppierung Die Frauen – aber ein Anfang war gemacht.

 

Fortan trat man auch zu Landtagswahlen an, zum Beispiel 2007 in Hamburg mit den Spitzenkandidaten Heinz Strunk und Rocko Schamoni. Der Slogan „Wähler aufgepasst: Ole von Beust ist schwul“ schien viel versprechend. Denn, sagt Sonneborn, „manchmal sagen wir auch die Wahrheit. Wenn es uns nutzt.“ Aber die Parole löste Proteste aus, die CDU tobte und sprach von einer Schmutzkampagne. Martin Sonneborn ging in sich und änderte den Slogan. „Schwule aufgepasst: Ole von Beust ist in der CDU.“

 

Auf „Staatsbesuch“ waren Sonneborn und seine Kader auch schon, damals 2007 in Georgien. Man traf sich immerhin mit dem Führer der oppositionellen Arbeitspartei. Sonneborn beschreibt die Begegnung anschaulich in seinem Standardwerk „Das PARTEI-Buch. Wie man in Deutschland eine Partei gründet und die Macht übernimmt“ – vom Reisebus mit den Einschusslöchern über das Angebot, für 10, 15 Euro ein paar Frauen zu organisieren, bis hin zum Besuch in der Parteizentrale. Dass man nicht 30 Sitze im Bundestag hatte, wie vom ehrwürdigen Chef der Georgischen Arbeitspartei angenommen, verschwieg man. Entschuldigte sich aber höflich für den Bruch des Hitler-Stalin-Pakts („Die Sache tut uns leid, es soll nicht wieder vorkommen“) und probierte auch von dem Höllenschnaps in grünen Plastikflaschen. Es heißt, die georgisch-deutschen Beziehungen seien seither besser geworden.

 

Schwerpunkt bleibt aber die Innenpolitik: Auch 2009 will Die PARTEI mit ihrer altbekannten Forderung nach einer Zusammenlegung der neuen Bundesländer politisch punkten. „Wir haben eher wenig Inhalte, vertreten die aber vehement“, sagt Sonneborn. Und: „Wir sind unseriös, populistisch, machtorientiert, schmierig – wir sind eine Partei neuen Typs.“ Vor allem also ehrlich. Im Wahlkampf machte man sich beliebt mit wertvollen Geschenken statt alberner Fähnchen oder Kugelschreiber aus Plastik. Der Kölner Spitzenkandidat Marc Benecke verteilt Plüschhandschellen, Nylonkrawatten und lebende Schaben.

 

Der Bundeswahlleiter hat – anders als noch 2005 – der PARTEI die Teilnahme an der Bundestagswahl verboten. Er verschanzt sich hinter dem Bundeswahlgesetz (§ 18 Abs. 4), für Sonneborn ein Skandal. Er will kämpfen, um doch wieder antreten zu können. Schließlich habe man erst kürzlich in einem Casting eine Kanzlerkandidatin ernannt. Die bildhübsche Samira El Ouassil sei kompetent genug, der Parole „Frau ja, aber schön!“ Gestalt zu geben.

 

Der Wahlkampfabend in Köln: ein Triumphzug. Unter tosendem Applaus verabschiedet sich Martin Sonneborn mit der Gestik des Staatsmanns: die zur Siegerpose verschränkten, erhobenen Hände, das gnädige Nicken.

 

Und staatsmännisch auch seine Schlussworte: „Viele sehen uns als Parodie auf die etablierten Parteien. Aber wenn unser Land uns ruft“, sagt Parteivorsitzender Sonneborn, „dann sind wir gewillt, uns der Verantwortung zu stellen.“