September 2010 / ADAC REISEMAGAZIN / Text

Tausendmal die Kurve gekriegt

Die Targa Florio mit ihren ungezählten Windungen war bis in die Siebzigerjahre ein gefürchtetes, einzigartiges Autorennen. Wir haben auf der Originalstrecke von 1906 glühende Landschaften und wahre Legenden entdeckt

Nein, geliebt hat er sie nicht, die Hatz um tausend Kurven. Und dennoch: Überall, wo Nino Vaccarella auftaucht, sagen Motorsportfreunde nach „Guten Tag“ gleich „Targa Florio“. Sein Name ist verquickt mit diesem Rennen auf sizilianischen Berg- und Dorfstraßen, das bis 1977 die Sportwelt begeisterte. In Le Mans fuhr Vaccarella gern. Auch auf dem Nürburgring. Nur in seiner Heimat nicht.

 

Nein, Spaß hatte der in Palermo geborene Rennfahrer nicht dabei, obwohl er zwischen 1959 und 1975 15-mal an den Start ging und dreimal gewann. Vaccarella wird erstaunlich beweglich, als er sich erinnert. Mit links packt er ein unsichtbares Steuerrad, mit rechts rührt er am nicht vorhandenen Schalthebel und macht Geräusche wie ein nervöser Wolf. Das Jaulen produzierte damals sein Motor. Der Ferrari 512S mit dem 5-Liter-V12-Motor und den 600 PS, in dem er 1970 die Targa fuhr, war zu wuchtig und eigentlich chancenlos gegen die flinken, leichten Porsches. Die tanzten förmlich auf den von Lastwagen zerfurchten Straßen. Trotzdem wurde er mit diesem Ungetüm Dritter. An Steinhäusern, Felswänden und Hunderttausenden Zuschauern vorbei, von denen nicht wenige die Rennwagen berühren wollten – all das war nicht Vaccarellas Ding. „Ich war immer fix und fertig“, sagt er.

 

77 Jahre alt ist Nino Vaccarella, mit seinen weißen Haaren und der Lesebrille wirkt er wie ein Professor. Er lebt in einem quaderförmigen Siebzigerjahre-Wohnblock an der lauten Via dell’Autonomia Siciliana in Palermo. Die Wohnung ist ein kleines Museum mit großen Fotos an der Wand, Pokalen und Plaketten auf den Tischen und Kommoden. Sogar das Telefon ist ein roter Plastik-Ferrari. Natürlich holt er bald einen Ordner aus dem Regal. Schwarzweißfotos hat er hinter Klarsichtfolien gesteckt: Vaccarella im Rennwagen, Vaccarella mit Enzo Ferrari, Vaccarella mit Papst Paul VI. Er war eine Heldenfigur der Sechziger- und Siebzigerjahre, als sein Sport noch nach Benzin, Schweiß und Tränen roch. Aber auch nach tödlicher Gefahr.

 

Am 6. Mai 1906 startete die erste Targa Florio, organisiert von Vincenzo Florio, einem Sohn reicher Eltern, der dem Rennsport verfallen war. Zehn Pioniere tuckerten über die meist ungeteerten Straßen der Madonie-Berge. Dreimal wurde die 148 Kilometer lange Runde absolviert. Der Sieger Alessandro Cagno brauchte gut neuneinhalb Stunden. Ab Mitte der Fünfzigerjahre gehörte die Targa Florio zur offiziellen Sportwagen-WM.

 

Die Bedingungen waren skurril. 1971 lag der Franzose Gérard Larrousse im Porsche 908 vorn, als ein Reifen barst. Er versuchte, ihn zu wechseln, wurde aber von Zuschauern mit Steinen beworfen, sodass er auf der Felge weiterfuhr. Als er die Box erreichte, war die Aufhängung kaputt. Nino Vaccarella im Alfa Romeo zog vorbei – die Sizilianer hatten ihn zum Sieger gemacht. Porsche führte seinen Fahrern in Ermangelung von Trainingszeit auch Filme der Strecke vor. Manchem Profi wurde davon so schlecht, dass er sich übergeben musste. 1974 verlor die Targa Florio ihren WM-Status. Nach dem letzten schweren Unfall, bei dem zwei Zuschauer starben, wurde sie 1977 eingestellt. Die Legende lebt heute nur noch in entschärften Varianten als lokale Rennveranstaltung und als Rallye ohne allzu großes Gefahrenpotenzial fort.

 

Wir begeben uns in einem Alfa Giulietta von 2010 auf die Reise in die Vergangenheit. Fast jeder Mann auf unserer Tour starrt das rote Auto an. Einige berühren es. Die Autoleidenschaft der Sizilianer ist nicht die einzige Spur, die vom legendären Rennen geblieben ist.

 

Kurz vor Cerda passieren wir den Start-Ziel-Bereich: Tribünen, die Boxengasse, eine Linkskurve. Erst viele Kilometer später, im Museum in Collesano, werden wir die Magie des Ortes begreifen: Dort sehen wir Bilder von Männern mit rußigem Gesicht und Clark-Gable-Bärtchen, umgarnt von Frauen mit abenteuerlicher Frisur. Und Tausende Fans. In der Gegenwart ist alles dem Verfall überlassen. Das Haupthaus ein Betonskelett. Nur ein Wort ist im zerbröselnden Putz zu lesen: „Florio“. Nebenan verrottet eine Tribüne, die Neonröhren an der Decke sind staubschwarz, Risse durchziehen das Mauerwerk wie Adern.

 

Ein paar Kilometer weiter: Cerda. Die Hauptstraße des Ortes hat eine …

 

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