November 2016 / DIE ZEIT / Text

Gestrandet in … Erlangen

Da wollten Sie nie hin? Jetzt sind Sie nun mal da. DETLEF DRESSLEIN nimmt Sie zwei Stunden lang an die Hand. Sie entdecken: Die Rechtwinkligkeit

Nein, Erlangen liegt nicht im Sauerland. Aber das wissen Sie ja. Das weiß jeder. Denn es gibt ja so viel Wissenswertes über Eeeeerlangen. Das Liedchen, erdacht vom Wortkünstler Max Goldt anno 1982 in den Wirren der Neuen Deutschen Welle, es hallt immer noch nach. Nicht in Erlangen, dafür aber überall sonst. Es gibt halt weiter nichts, was einem zu Erlangen einfiele. Den Erlangern ist das ganz recht. Der Franke ist ja eher zögerlich und tendenziell pessimistisch. Da ist es ganz gut, wenn man nicht wahrgenommen wird. Wenn man »sei’ Ruh’« hat.

 

So ist Erlangen: unauffällig und pragmatisch. Wenn Sie am Hauptbahnhof ankommen, merken Sie: Es geht immer geradeaus. Keine Kurven, keine Gässchen, nur rechte Winkel. Ein Relikt der Planstadt, die Ende des 17. Jahrhunderts erbaut wurde, um vielen der protestantischen Hugenotten, die aus Frankreich vertrieben wurden, eine Heimat zu geben.

 

Offen für Flüchtlinge ist man geblieben. Nach dem Krieg siedelte sich ein Weltkonzern an, der aus Berlin vertrieben worden war. Durch die Siemens AG kommen bis heute immer wieder neue high potentials aus aller Welt in die Stadt. Gleiches gilt für adidas und Puma, deren Zentralen keine zehn Kilometer Luftlinie vom Erlanger Stadtzentrum entfernt in Herzogenaurach stehen. Und dann die insgesamt 40 000 Studierenden der Universität Erlangen-Nürnberg, von denen drei Viertel in Erlangen lernen und leben. Da kommt immer wieder viel Welt auf die nur 111 000 Einwohner zu. Nebenan in Nürnberg und Fürth leben die Arbeiter; hier aber Ärzte, Ingenieure, Studenten und Professoren. Erlangen ist klug. Und reich. Im Stillen.

 

Sie gehen also geradeaus zum Hugenottenplatz, dem »Hugo«. Von hier können Sie alles Wichtige bequem zu Fuß erreichen. Aber bleiben Sie noch kurz am Hugo. Zwischen der graubraunen, kantigen Architektur der Neuzeit, für die sich ein Fünfjähriger mit seinen Bauklötzen schämen würde, steht die alte Hauptpost. Ein neobarocker Prachtbau mit Stuckdecke und Marmorsäulen. Darin untergebracht hat der Erlanger ausgerechnet McDonald’s. Im Schloss übrigens residiert die Uni-Verwaltung. Pragmatisch, Sie wissen schon.

 

Sie können jetzt weiter geradeaus gehen, nach Westen, die Universitätsstraße hinab, dann passieren Sie all die teils 200 Jahre alten Uni-Gebäude. Nach dem Kollegienhaus beginnt eine Medizinstadt in der Stadt mit 1400 Betten und 1200 Ärzten. Nach Süden sollten Sie gehen, wenn Sie noch ein paar Weihnachtsgeschenke brauchen. Denn an der Nürnberger Straße finden Sie die Erlangen Arcaden, eine Shoppingmall, die sich wie ein Lindwurm mitten in die Stadt gelegt hat. Und rundherum all die anderen bekannten Kettengeschäfte, die man nicht mehr in die Arcaden reinquetschen konnte. Schön ist das nicht, aber wahnsinnig praktisch.

 

Stoppen Sie unbedingt am Rathausplatz, danach kommt nicht mehr viel. Sie erkennen ihn leicht. Rathaus, Einkaufszentrum (Neuer Markt) und Stadthalle liegen dort herum, als hätte jemand überdimensionales Beton-Tetris gespielt. Und das sehr, sehr schlecht.

 

Sie können aber auch nach Norden gehen. Und das lohnt sich. Gehen Sie also über den Schlossplatz in den Schlossgarten (wo es sogar eine Liegewiese gibt), am Hugenottenbrunnen und der Orangerie vorbei in den botanischen Garten, der hier mitten in der Stadt liegt. Und dann in Richtung Markgrafentheater. Auch typisch Erlangen: das älteste bespielte Barocktheater Süddeutschlands (mit großartigem Ensemble) samt Goldschnörkeln und plüschigem Rot, eingehüllt jedoch in einen Kokon aus Fünfziger-Jahre-Stahlbeton.

 

Biegen Sie 90 Grad nach links, dann 90 Grad nach rechts, und gehen Sie durch die Schiffstraße. Mit schnuckligen Sandsteinhäuschen mit Torbögen, Bäumen und Kopfsteinpflaster, Lädchen und Mini-Boutiquen. Und der Enoteca, wo man im Sommer bis weit in den Abend hinein auf der Straße stehend Wein trinkt, ratscht und lacht. Dann versteht man, was der junge Oberbürgermeister Florian Janik meinte, als er sinngemäß über Erlangen sagte: Erst will man nicht bleiben, dann nicht mehr gehen.
Sie aber machen jetzt kehrt und setzen sich ins Café Mengin am Schlossgarten. Beobachten Sie die Erlanger Mischung: Studenten, Shoppingmüde und gehfähige Patienten. Viele wollten nie hierher, aber nun finden sie es eigentlich ganz schön. Vor allem, weil man sei’ Ruh’ hat.