Mai 2014 / GALA MEN / Text

Hier fliegen 3,3 Millionen

Der Däne Nikolaj Hviid kündigte seinen Job, um sich ganz einer fixen Idee hinzugeben: einen Minicomputer fürs Ohr zu bauen. Tausende Investoren machten daraus die erfolgreichste Crowdfunding-Aktion Europas. Schon im Herbst wird Hviids Erfindung unseren Alltag revolutionieren

Fragte ein Enddreißiger mit zwei kleinen Kindern, einer Frau und Doppelhaushälfte in München um Rat, ob er seinen Job als Geschäftsführer einer global agierenden Designagentur kündigen soll, nur um einem vermeintlich genialen Einfall nachzugehen, den er beim Joggen hatte, die Antwort wäre klar: Lass es lieber sein. Er weiß ja noch nicht mal, ob die Idee überhaupt umsetzbar ist. Und wenn sie es ist, ob die Umsetzung auch finanzierbar ist. Und wenn sie es ist, ob das Produkt überhaupt einen Markt findet. Definitiv zu viele Wenns für einen Enddreißiger mit Familie und Doppelhaushälfte.

 

 

Nikolaj Hviid kann über mangelnden Mumm nur herzlich lachen. „Immer wenn man denkt, das Leben ist perfekt so, dann sollte man es ändern“, sagt der Däne aus dem jütländischen Örtchen Struer, das nicht nur „wunderschön“ ist, wie er meint, sondern auch eine berühmte Firma beheimatet – Bang und Olufsen. Hviid erwähnt das nicht, diese Petitesse über Struer darf man selbst herausfinden, aber eine nette Parallele ist es schon, denn Design, Akustik und wirtschaftlicher Erfolg, das sind auch Themen, die Nikolaj Hviid umtreiben. „Ich bin glücklich, wenn ich mich selbst herausfordere und neue Sachen ausprobiere“, sagt er. Alle fünf oder sechs Jahre, meint er, müsse man sich neu erfinden. Aber der Reihe nach.

 

An dem Tag, an dem sich sein Leben mal wieder völlig ändern sollte, zog Hviid seine neuen Laufschuhe an. Er hatte festgestellt, dass viel Arbeit und einige Geschäftsessen den ehedem sportlichen Körper etwas aus der Form gebracht haben. Es kam, wie es kommen musste: Nach einem Kilometer japste und keuchte er, der Rücken und die Knie schmerzten. Doch anstatt die Schuhe in den Keller zu packen,wie es so mancher in seinem Alter getan hätte, fragte er sich: „Was ist da passiert mit mir?“ Ein Bekannter, Leistungssportler von Beruf, klärte ihn auf, und da wusste Hviid, dass er es völlig falsch angegangen hatte. Am nächsten Tag beherzigte er die Ratschläge seines Kumpels, und schon lief er fünf Kilometer ohne Probleme.

 

Da nun nicht alle einen Leistungssportler zur Hand haben, arbeitete es in Hviid: Es müsste ein Teil geben, das einem sagt, wie man laufen soll, das den Puls und die Sauerstoffsättigung im Blut misst, die Geschwindigkeit und die Entfernung registriert. Und das nebenbei wahlweise Musik spielt oder ein Buch vorliest. Das alles soll sich am besten direkt im Ohr befinden. Schließlich will man nicht immer das schwere Smartphone mit sich herumtragen müssen, dazu die Kopfhörer samt Kabel.

 

Zwei Jahre später, im Herbst 2014, wird „dieses Teil“ nun ausgeliefert. The Dash heißt das Wunderding, ein veritabler Minicomputer, den man sich in den Gehörgang klemmen kann – für knapp 300 Dollar. In den zwei Jahren hat Nikolaj Hviid Erstaunliches erlebt und geleistet. Nachdem er bei Designit, seiner alten Firma, gekündigt hatte, begab er sich mit der Familie auf Reisen. Am Pool, bei ein paar Cocktails, ließ er die Idee sacken, tüftelte danach weiter und entschied schließlich: Ja, es ist möglich, so etwas zu bauen. Er rief ein paar Kollegen und Freunde an und überzeugte sie. Was nicht immer leicht war, einige hielten das Projekt für unmöglich.

 

Aber er fand sie: Designer, Akustiker, Elektroniker und viele andere Spezialisten, die mit ihm dieses kleine Ding erschaffen wollten. Und die auch investierten. Denn Hviid hatte ja nicht nur keinen Job mehr, er musste auch noch einiges Geld in die Hand nehmen. „Man muss immer in Vorleistung gehen, in der Liebe und in der Wirtschaft“, sagt er. Für einen wie Hviid ist das kein Problem, denn: „Es ist nur Geld. Ich will es verwenden, um die Sachen zu machen, von denen ich träume.“ Besitz braucht er nicht, er hat sich noch nie ein fabrikneues Auto gekauft, trägt ausgetretene Chucks zu den Jeans. Und selbst wenn es schiefgehen sollte, weiß Hviid, dass er immer noch etwas gelernt haben wird.

 

So hat er es immer gehalten, schon als er als Student sein erstes von mittlerweile sechs Start-ups gründete und von seiner Bude aus eine IT-Beratung betrieb. Damals lernte er, „dass es wichtig ist, einen guten Buchhalter zu haben“. Der entscheidende Katalysator aber war die Idee, den Minicomputer fürs Ohr per Crowdfunding zu finanzieren – über Kickstarter, eine amerikanische Geldsammelplattform, die weltweit größte. Aber nicht nur die Investitionen reizten Hviid, sondern auch die Rückmeldungen der Interessenten. „Ich wollte das Projekt vielen zeigen und wissen, was sie darüber denken.“ Oft saß Hviid bis um drei am Rechner und beantwortete die Fragen der potenziellen Kleinanleger, darunter auch fachkundige Menschen, die bereitwillig ihr Wissen zur Verfügung stellten.

 

Bis Ende März 2014 sammelte Hviid bei Kickstarter von fast 16000 Investoren insgesamt 3,39 Millionen Dollar ein. Startkapital für seine neue Firma, die er Bragi nannte, und zugleich als das erfolgreichste europäische Crowdfunding-Projekt aller Zeiten. „Wir haben eine Bringschuld. Die Leute haben an uns geglaubt, jetzt müssen wir liefern.“ Und sie liefern. Was da in den letzten Monaten entstand und gerade entsteht – anfangs in einem Abrisshaus, nun in einem etwas schäbigen Hinterhofgebäude nahe des Münchner Hauptbahnhofs –, ist beeindruckend: ein wasserdichter Kleinstrechner, bestehend aus zwei Ohrsteckern, links werden die Laufdaten ermittelt und abgerufen, rechts sitzt der vier Gigabyte große MP3-Player für rund 1000 Musikstücke (über Bluetooth kann man zudem aufs Smartphone zugreifen). Das Design und die Positionierung direkt im Ohr sorgen für störungsarmen Sound in CD-Qualität, eine „Passive Noise Reduction“ ermöglicht auch den Einsatz im Flugzeug. Beim Telefonieren via Bluetooth fungiert The Dash mit einem sogenannten Knochenschall-Mikrophon als kabelloses Headphone.

 

Drei verschiedene Größen wird es einmal geben. Man soll den Apparat derart in die Ohrmuschel hineindrehen können, dass er bei jeglicher Laufbewegung (und sogar beim Schwimmen) festsitzt. Das gelingt bei 94 Prozent aller Ohren, weiß Hviid. „Nur Blumenkohlohren oder extrem kleine oder große könnten Schwierigkeiten machen.“ Mittels App bzw. Computer könne der Besitzer die Daten später abspeichern und auswerten. Wichtig ist Hviid, dass das jeder Nutzer machen kann, ohne seine Daten auf einen Server zu landen. „The Dash gibt nichts raus, außer der Benutzer will es.“ Und das soll erst der Anfang sein. Hviids Leute arbeiten schon an weiteren Funktionen. Streng geheim natürlich, „denn es gibt genug große Unternehmen, die das alles gern wüssten“, sagt Hviid und lacht. Und doch verrät der Däne etwas. The Dash soll irgendwann sogar Krankheiten erkennen können und seinen Besitzer zum Arzt schicken. Feuerwehrleute im Einsatz könnte er über Sauerstoffmangel informieren. Und spricht ein Schwede mit einem Chinesen, könnte er das Gesagte nicht nur übersetzt bekommen, sondern würde auch über kulturelle Hintergründe aufgeklärt werden.

 

Und vielleicht kann The Dash demnächst auch etwas, woran jetzt noch gar keiner denkt – sondern allein Nikolaj Hviid. Er ist stolz darauf, sich etwas bewahrt zu haben, was er bei vielen Menschen verloren sieht. Die kindliche Neugier und der Glaube daran, dass alles realisierbar ist. Vielleicht sollte man es manchmal doch so machen wie Nikolaj Hviid – und sich einfach mal an die Realisierung eines Traums wagen, so seltsam er erst auch klingen mag.