April 2014 / COLT SEAVERS, ALF & ICH / Buch

DIE JUNGS MIT DEN EXTRADICKEN EIERN

Sobald Vaters Ford Granada durch die Schaufensterscheibe kracht, ist für Detlef Dreßlein die Welt ein bisschen in Ordnung. „Die Profis“ sind gewalttätig, brutal, machohaft. Und bringen ein wenig Glamour in den Alltag.

Als der schwarze Ford Granada durch die dunkle Schaufensterscheibe flog, war mein Tag gerettet. Ein Ford Granada war damals, in den Achtzigern, so etwas wie Gartenzwerg, Eierlikör und Käseigel in einem – spießiger ging’s kaum noch. Natürlich fuhr mein Vater einen. Der war goldmetallic und hatte ein schwarzes Dach. Auf der Rückbank saßen mein kleiner Bruder und ich. Wir schämten uns zwar nicht, dazu waren wir zu jung, aber irgendwie war der Granada schon etwas fad. Und jetzt, als 14-Jähriger, sah ich plötzlich: ein Ford Granada kann auch cool sein. Er muss nur durch eine Scheibe fliegen.

 

Das Intro der britischen Serie „Die Profis“ war ein kleines Fanal, begleitet von peitschender Musik, mit widerborstig jaulendem Bass und quäkenden Blechbläsern. Und mit rasanten Schnitten. In der Schaufensterscheibe hatte sich kurz zuvor noch das Leben im London der späten Siebziger gespiegelt. Die Swinging Sixties mit Mode und Musik, mit Sex, Charme und Melone und seiner bonbonfarbenen Leichtigkeit waren den düsteren Siebzigern gewichen, mit Arbeits- und Perspektivlosigkeit, blutigem IRA-Terror und der Eisernen Lady Margaret Thatcher. Die Wirtschaft lag darnieder, der Staatsbankrott drohte, und die englische Fußball-Nationalmannschaft – 1966 noch Weltmeister – war drauf und dran, schon wieder die Qualifikation für eine Weltmeisterschaft zu verpassen. Es war trostlos. Vielleicht gerieten die „Profis“ deshalb so machoesk, teilweise reaktionär und aus heutiger Sicht geradezu obskur gewalttätig.

 

Als ich Weihnachten 1984 die erste Folge sah, eröffnete sich eine neue Welt aus Männlichkeit und Action. „Die Profis“ zu gucken, das war die Abzweigung Richtung erstes Bier, erste Party und erst mal sehen, ob die Mädels nicht doch was anderes sind als nur doof.

 

Der Hype um Doyle (aka Martin Shaw, aka Agent 3.7) und Bodie (aka Lewis Collins, aka Agent 4.5) mag heute schwer zu begreifen sein. Aber es war die oft zitierte Drei-Sender-Zeit mit Sendeschluss um Mitternacht und Testbild am Nachmittag. In der Bravo, damals noch das konkurrenzlose Zentralorgan für uns Pubertierende, wurde regelmäßig über die beiden berichtet. Samt ausreichender Versorgung mit Postern, Titelgeschichten oder einem „Star-Album zum Rausnehmen“.

 

Es war eine Zeit, als man Gangster noch an ihren knolligen Nasen, dem kantigen Gang und den Nylonstrümpfen überm Gesicht erkennen konnte. In einem London, das immer nass und neblig war, das vollstand mit Backsteinbauten und Hafenlagerhäusern, stets so düster wie Cowleys Miene. Cowley war der Boss von Doyle und Bodie. Seine Idee war es, den CI5 zu gründen, eine Sondereinheit zur Terrorismusbekämpfung. Der CI5 war der Polizei übergeordnet und hatte Lizenz zum Schlägern, Ballern und Killen. Im Sinne Ihrer Majestät der Queen natürlich.

 

In der ersten Episode sagt Cowley zu den Jungs: „Gewalt nur anwenden, wenn es absolut notwendig ist.“ Und es war notwendig. In jeder Folge. Was soll man machen? Als Agenten gehörten zu dieser Einheit ehemalige Polizisten, aber auch gescheiterte Existenzen – falls sie denn Cowley für fähig hielt. So kam Doyle von der Drogenfahndung, während Bodie als Söldner und Fallschirmjäger eher der letzteren Kategorie angehörte.

 

„Die Profis“ waren politisch unkorrekt, lange bevor der Ausdruck erfunden wurde. Die härteste Härte ersparte uns das ZDF. Gleich in der ersten Originalfolge (in Deutschland erst 1991 bei SAT.1 zu sehen) packt sich ein Geiselnehmer eine blonde Krankenschwester und hält ihr nicht einfach nur eine Pistole an die goldblonden Haare, nein, er schiebt auch seine Hand mitsamt einer Handgranate in ihr Dekolleté. Damit man weiß, dass es ihm ernst ist. Doyle erschießt den Schurken, die Handgranate rutscht in die Tiefe. Bodie hechtet sich auf die hysterisch schreiende Frau, ohrfeigt sie, um sie ruhig zu stellen, zertrennt fachmännisch ihre Oberbekleidung, holt die Handgranate hervor und wirft sie zielsicher in eine drei Meter entfernte Blechtonne.

 


Sie neckten und balgten sich und hauten sich auch mal auf die Fresse


 

 

Doyle und Bodie waren echte Buddies, führten adjektivarme Männergespräche in ihrem Ford Capri, während sie über Randsteine polterten oder das Fahrzeugheck per Handbremse herumwuchteten. Sie neckten und balgten sich und hauten sich auch mal auf die Fresse. Sie hielten sich für unverwundbar. Sie waren übermütige, renitente und unreife Lümmel, die sich über ihren Vorgesetzten Cowley lustig machten, hinter seinem Rücken, versteht sich. Doyle und Bodie waren wie wir, obwohl sie im Alter unserer Eltern waren. Sie waren erwachsen geworden, ohne die Kindheit aufzugeben. Was für ein genialer Plan.

 

Auffällig war stets die exzessive Nutzung von Waffen. Eine Fan-Website zählt nicht weniger als 56 verschiedene Arten: von der Pistole (Smith & Wesson, Walther PPK, Beretta, Tokarev etc.) über diverse Gewehre bis hin zu „Spezialitäten“: Handgranate, Panzerfaust, Granatwerfer. Daneben waren Verfolgungsjagden fester Bestandteil der Serie. Oft zu Fuß, meistens aber mit dem Auto. Ab Staffel zwei fuhr man übrigens ausschließlich Ford. So wurde ein weiterer Star geboren: Bodies silbergrauer Ford Capri 2.0 S (mit karierten Sitzen!). Das Modellauto von der Firma Corgi mit den daumengroßen Doyle- und Bodie-Figuren aus Plastik hätte ich sicher besessen, wäre ich mit 14 Jahren nicht schon zu alt gewesen für Spielzeugautos.

 

Cowley (aka Gordon Jackson) war der Mann in der Zentrale für die lauen Zwischensequenzen, die Mutter der Kompanie, ein Mittfünfziger, kriegsversehrt und deshalb irgendwie immer im Büro. Er war der intellektuelle Überbau, gab die Anweisungen – und Doyle und Bodie, die Buben, rannten und ballerten, bis das Böse besiegt war. Cowleys schönster Satz: „Ich übertrete nur alberne Vorschriften, gegen sinnvolle habe ich nichts.“ Doyle und Bodie waren Männer ohne Nerven und Vornamen. (Natürlich hatten sie Vornamen, aber wen interessierten die schon.) Mit Doyle konnte ich nicht viel anfangen. Er hatte ein feminines Gesicht und trug Dauerwelle. Die gleiche wie meine Mutter. Bodie gefiel mir. Er verzichtete gleich ganz auf eine Frisur. Sein glattes Haar klebte speckig am Schädel, und dass er dennoch cool aussah, war allein schon eine schauspielerische Meisterleistung. Damals war ich vor allem dankbar, dass er meine gern als Topfschnitt bezeichnete Standardfrisur veredelte, indem er sie selbst trug. Ich musste, er durfte.

 

Die beiden hatten kein ersichtliches Privatleben. Es gab Frauen in ihrem Leben, aber nur wenn der Dienstplan und die laufenden Ermittlungen es erlaubten. Dann allerdings nach Belieben. In einer Folge geht Bodie auf einen Sonntagsausflug „mit der schönen Michelle“, wie Doyle schmierig grinsend mutmaßt. Dabei ist es ja längst die langmähnige Julia. Die beiden geraten in eine Terroristenjagd, wie das eben so ist, sonntags bei Bodie. Immerhin: Diese Julia konnte leidlich Auto fahren, was sie dann auch tut, während Bodie tapfer und trotz peinigender Handverletzung auf die Terroristen ballert. Julia mäkelt an seinen Methoden herum, bis Bodie schließlich mault: „Er ist ein Bombenleger und Mörder.“ Darauf Julia: „Aber trotzdem bleibt er ein Mensch.“ Statt zu antworten, lädt Bodie noch mal durch. Ende der Diskussion.

 

Lewis Collins war Bodie. Collins wurde 1946 in Birkenhead geboren, in der Nähe von Liverpool, dort wo England stets besonders grau und rau war. Er arbeitete als Lehrling bei einem Damenfriseur und saß nebenher in diversen Bands am Schlagzeug; Bands, die Namen trugen wie The Renegades, The Georgians oder The Mojos. Letztere spielten regelmäßig im Club The Cavern. Als im August 1962 eine andere lokale Liverpooler Band, die dort ebenfalls oft auftrat, einen neuen Schlagzeuger suchte, da meinte ein Kumpel zu Collins, er sollte doch mal vorspielen. Aber der 16 Jahre alte Lewis zog es vor, seine Ausbildung zu beenden und träumte von einem eigenen Damensalon in Liverpool. Was Solides halt. Und so wurde ein gewisser Ringo neuer Schlagzeuger bei diesen Beatles. Blöder Zufall, aber irgendwie typisch: Lewis Collins nahm oft die falsche Abzweigung. Über den Umweg als Roadie, Lexikonverkäufer und Lastwagenfahrer landete er dann im Showbusiness und ließ sich ab 1968 in London zum Schauspieler ausbilden.

 

Collins hatte nur wenige Gesichtsausdrücke. Einer war der gesenkte Kopf mit den nach oben funkelnden Augen, dazu eine grimmige Entenschnute, als trüge er eine überdimensionale Büroklammer um seine Lippen. Mit diesem Blick überwältigte er Gangster und Frauen gleichermaßen. Er war einfach unendlich cool. 1982 war er deshalb als Nachfolger für Roger Moore als James Bond im Gespräch, aber irgendwie vertrottelte er es wieder, weil er den Produzenten als „zu aggressiv“ auffiel. Danach bekam er keine vernünftigen Rollen mehr. Ein paar alberne B-Movies, wie „Geheimcode: Wildgänse“ mit Klaus Kinski durfte er noch anreichern, stets als ballernder Haudrauf, aber das war es dann auch. Zwischendurch bewarb er sich bei der SAS, einer Art britischer GSG 9, und bestand sogar den Eignungstest. Genommen wurde er nicht, weil man keine Fernsehnase in einer semi-geheimen Spezialeinheit brauchen konnte. Nur noch einmal nahm ich Notiz von ihm, von Bodie, dem coolsten Mann der frühen Achtziger. Im November 2013 starb er, grau, ausgezehrt und gerade 67 Jahre alt, an Krebs. Fünf Jahre hatte er dagegen gekämpft. Aber der Krebs ist kein gewöhnlicher Bombenleger. Bodie hatte keine Chance.

 

Martin Shaw, geboren 1945 in Birmingham, hatte von Anfang an seine Schwierigkeiten mit dem Format. Im Gegensatz zu Collins ist er eher ein Feingeist und durchaus ein begabter Schauspieler – er liebt Shakespeare und spielte etwa in Roman Polanskis Macbeth-Verfilmung von 1971 mit. Nach Ende der „Profis“ wurde er ein gefragter und erfolgreicher Bühnen- und Filmschauspieler. Dass er keinen Alkohol trank, nicht rauchte und Vegetarier war, machte ihn auch nicht zu einer Idealbesetzung des Doyle. Aber wie viele seiner Kollegen war es auch für Martin Shaw im Jahr 1977 schwer, an adäquate Rollen zu kommen. Die britische Filmindustrie darbte vor sich hin, und auch am Theater ließ sich wenig verdienen. Also nahm er die Rolle an. Glücklich wurde er damit nicht. Er sah sich als „gewalttätige Marionette“ missbraucht.

 

Nach Ablauf seines Vertrages hatte er erwartungsgemäß keine Ambitionen, die Serie fortzusetzen. Im Gegenteil. Er verbat sich sogar Wiederholungen. Anders als in Großbritannien, wo die Serie in kleineren Dosierungen noch bis 1983 weiterlief, prügelte das ZDF seine 39 Folgen am Stück durch, sodass Mitte 1982 schon wieder Schluss war. Zwei Jahre später wiederholten sie sie, diesmal mit 41 Folgen. Und mit mir. Es waren schwere Zeiten. Ich war 14 und die Pubertät verwüstete alles, was bisher galt. In der Schule focht ich einen aussichtslosen Kampf gegen Mathe und Physik, ich konnte weder bei Heike noch später bei Sabine irgendwie landen, und mein Lieblingsverein war der TSV 1860 München, was damals noch viel weniger lustig war als heute. Da tat es gut, wenigstens ein kleines bisschen wie Bodie sein zu können. Wenn auch nur durch die gleiche Frisur.

 

Was James Bond nur alle paar Jahre auf die Kinoleinwand brachte, boten die „Profis“ im Kleinen jede Woche: Schlägereien, Sprüche, Stunts, Schießereien, Verfolgungsjagden und Männlichkeit. Doyle und Bodie waren in England enorm beliebt. Als 1979 die US-Botschaft in Teheran besetzt wurde, da forderten viele Bürger, man möge doch den CI5 hinschicken, um die Geiseln zu befreien. Sogar Queen Elizabeth II. gestand, die Serie gerne zu sehen. Anfang der Neunziger begann eine bis heute andauernde Wiederholungssendung im deutschen Privatfernsehen. Ich habe mir nie mehr eine Folge angesehen. Ich bin längst erwachsen geworden, aber an dem genialen Plan von Doyle und Bodie habe ich immer festgehalten.