Februar 2008 / PLAYBOY / Text

Donners Tag

Wer sich als Kind am liebsten auf dem Abenteuerspielplatz rumgetrieben hat, muss unbedingt nach „Thunder City“. In der Stadt des Donners, nahe Kapstadt, kann jeder in einem echten Kampfjet durch die Wolken rasen.

Ich bin ein Kuchenteig. Zumindest kann ich nachvollziehen, wie man sich so fühlt als Kuchenteig. Wenn man in einer Rührschüssel klebt und durchgewalkt wird. Meine Rührschüssel trägt den Namen Blackburn B-103 Buccaneer und ist 1038 Stundenkilometer schnell. Mein Bäcker heißt Mike Beachy Head, ein reichlich brummiger Brite und ehemaliger Air-Force-Pilot. Einer, der kein Erbarmen kennt mit mir, dem Rührteig.

 

Die Maske vor meinem Gesicht rutscht auf einem leichten Schweißfilm immer weiter nach unten. Sie ist so schwer, als hätte ich Bleiplatten auf der Nase. Und dann ist da noch dieses Bauchgrummeln, immer lauter. Es fühlt sich an wie eine schwere Magengrippe – nur dass ich dafür normalerweise keine drei Monatsgehälter zahlen muss.

 

Beachy Head fliegt mit mir das gesamte Air-Show- Programm einmal durch: 90-Grad-Drehung, noch mal 90 Grad, Looping, Überkopfflug. Als mir das alles im Briefing vorab erklärt wurde, flüsterte mir ein anderer Pilot mitleidig zu: „Besser, du erschießt dich.“

 

Mike Beachy Head hat am Flughafen von Kapstadt eine Garage stehen, rund zwanzig Meter hoch und so groß wie anderthalb Fußballfelder. In diesem Hangar stehen zwölf Kampfjets und ein paar Hubschrauber, mit Direktanschluss zur Startbahn. Jeder kann hier zum Kuchenteig werden – jeder, der sich der Achterbahn entwachsen fühlt und bis zu 10.000 Euro für einen 35-Minuten-Flug zahlt.

 

Manchmal kostet es auch etwas mehr. Doch an Kundschaft mangelt es trotzdem nicht. Jedes Jahr wagen rund 120 Leute den Ritt. Denn Thunder City, so heißt Beachy Heads Kleinunternehmen, ist einzigartig in der Welt. Nirgendwo sonst stehen so viele Kampfjets für private Mitflüge bereit. Und nirgendwo sonst erlaubt die Regierung derart freie Flüge über Land und Meer, durch Täler und über Berge.

 

Pilot David Stock steht in einem schäbigen Raum mit abgeschabtem Konferenztisch. Hier wird dem Flugschüler erklärt, dass der Flug durch die Wolken eine schaukelige Angelegenheit wird, wie er im Notfall die Maske abnimmt und wie das geht mit dem Schleudersitz.

 

„Der kommt in exakt zwei Fällen zum Einsatz“, sagt Stock: „Feuer an Bord oder Ausfall beider Triebwerke.“ Der Pilot, erklärt Stock, werde in einem dieser Fälle laut „Eject, eject, eject“ rufen, und beim dritten „eject“ muss ich dann an dem schwarz-gelben Band ziehen und so meinen Sitz hochreißen. Missbrauch, sagt Mike Beachy Head, sieht er nicht so gern: „Wenn du hier ziehst, ohne dass ich es veranlasst habe, werde ich dich töten“, sagt er.

 

Noch während ich darüber nachdenke, ob er das wirklich ernst meint, geht es los. Beachy Head fliegt eine lange Kurve. Ich habe das Gefühl, immer kleiner zusammengedrückt zu werden. Zusammengestaucht wie ein unförmiger Klumpen Kuchenteig. Die Hände sind wie auf die Knie geschweißt, ich kann sie kaum anheben, und wenn, dann nur unter großer Kraftanstrengung. Ich spüre, wie das Blut nach unten fließt, und erinnere mich an einen guten Ratschlag aus dem Briefing vorhin: „Versuch, das Blut im Kopf zu behalten“, hat man mir dort gesagt.

 

Ja, aber wie denn nur? Die Schwerkraft zieht und zerrt an mir, ein unangenehmer Flugbegleiter. Sie geht mit fast 6 g auf meinen Körper los. Das klingt nach wenig, so manche Achterbahn erreicht solche Werte. Aber das hier ist keine Achterbahn. Es ist schlimmer als jede Achterbahn.

 

Drei Flugzeugtypen erfüllen hier jeden Wunsch. Da ist die kleine Hawker Hunter für die Akrobatik, für Loopings, Rollen, Überkopfflüge. Eine Stunde Waschmaschinen-Vollprogramm kostet rund 4000 Euro. Da ist die Buccaneer, ein Jet, der früher mit Atomwaffen bestückt war. Die sind heute abgeschraubt, aber sie kann immer noch sehr tief über dem Boden fliegen: zwanzig Meter über Land, zehn über Wasser. Eine Stunde kostet 8000 Euro. Die Electric Lightning ist die Königsklasse, mit ihr kann man in 18 Kilometer Höhe fliegen, Mount Everest mal zwei.

 

In dieser Höhe kann man die Erdkrümmung sehen, das können sonst nur Astronauten. Der Horizont als eine Kurve hellblauen Lichts, das immer dunkler wird und in das Schwarz des Alls übergeht. „Das zu sehen verändert jedermanns Leben“, sagt David Stock. Sein Brotjob – er fliegt eine 747 bei South African Airways – sei dagegen wie Busfahren.

 

Den Piloten zahlt Mike Beachy Head nur eine Aufwandsentschädigung. Neben dem Alltagsjob bei einer Fluglinie oder bei der Luftwaffe sind die Taxiflüge im Kampfjet für sie eine schöne Abwechslung. Die Männer erinnern an die „Space Cowboys“: zerfurchte Gesichter, kleine Bäuche. Doch alle wirken sie beruhigend cool. Wie Männer, die bei doppeltem Triebwerksausfall erst mal einen Schokoriegel aufreißen würden.

 

Pilot Robbie Robinson ist schon von Anfang an dabei. Zwölf oder 13 Jahre sei das her, erzählt er, da rief ihn ein Typ namens Mike Beachy Head an: Er wolle eine Hawker Hunter von London nach Südafrika fliegen. Ob Robbie mit dem Papierkram helfen könne. „Als ich auflegte“, sagt Robinson, „dachte ich nur: Der Typ ist verrückt.“

 

Es war der Beginn von Thunder City, und es war der Beginn einer wahren Männerfreundschaft. Beachy Head hatte gehört, dass in London bei Sotheby’s ausrangierte Militärjets versteigert werden. Sie waren billig zu haben: Für sein erstes Spielzeug zahlte er gerade mal 10.000 britische Pfund.

 

Höchstpersönlich flog er sie bis nach Südafrika. Mit einem Militärjet in Tarnfarben und mit kurzer Reichweite durch die Krisenregionen Schwarzafrikas. Das waren aufregende Tankstopps „in seltsamen Ländern“, erinnert sich der Flugzeugfreak. Auf einem Flughafen in Eritrea wurden sie misstrauisch: Ob er ein Überläufer sei? Er antwortete frech: „Wenn ich überlaufen würde, dann sicher nicht hierher.“

 

Für die Electric Lightning allerdings verweigerte ihm die britische Regierung die Fluggenehmigung. Also ließ er die vier Jets auseinanderschrauben, in 50 Containern verschiffen und am anderen Ende der Welt wieder zusammenbauen. Acht Monate dauerte es, bis in Kapstadt die letzte Schraube eingedreht war.

 

Zweiter Flugtag, ich werde in die Electric Lightning geschnürt. Der britische Abfangjäger ist ein Grund, warum die Piloten hier umsonst arbeiten. „Sie ist eine der größten Errungenschaften der Luftfahrt, es ist eine Ehre, sie zu fliegen“, sagt mein Pilot David Stock. Dank Nachbrenner und zwei übereinanderliegenden Düsentriebwerken erreicht die Maschine 2450 Stundenkilometer.

 

Meine Unterschenkel werden mit Bändern an den Sitz gezurrt. Zu meinen Füßen erkenne ich ein kleines Schild, darauf steht: „Bomb Door“. Es riecht nach Schmieröl und Lagerhalle. Pilot David Stock sitzt hinter staubigen Uhren und abgeschabten Knöpfen.

 

Zum Start, hat Stock mir versprochen, würde es einen „wirklich guten Tritt in den Arsch“ geben. Stimmt, jedenfalls so halbwegs. Es ist mehr, als würde man von einem Staubsauger angesaugt und dann wieder weggeschleudert.

 

Das Schlimmste sind diese ruckartigen Richtungswechsel: Heute lernen sich mein Magen und meine Milz, mein Kleinhirn und die Lungenflügel erstmals aus der Nähe kennen. Ich merke: Mit mir würde die Luftwaffe keinen Krieg gewinnen. Pilot Stock legt die Maschine aufs Dach, der Ozean rast mit über 1000 Sachen über mir vorbei.

 

Erst als wir längst wieder am Boden sind, kommt mein Körper dazu, sich zu fürchten: Tränen kullern. Pochende Zahn- und Kopfschmerzen, meine Oberlippe ist pelzig wie nach einer Spritze beim Zahnarzt. Die Beine zittern, ich torkele über die Landebahn wie ein besoffener Matrose. Der Magen schaltet auf Vollwasch-Schleuderprogramm – jetzt brauche ich Selbstbeherrschung. Oder die weiße Papiertüte aus dem Cockpit. Während des Fluges hatte ich dafür einfach keine Zeit.