November 2006 / PLAYBOY / Text

Job mit Tiefgang

200.000 wertvolle Wracks liegen auf Grund. Viele davon prall gefüllt mit Golddublonen und Silberbarren. Doch die Jagd nach den Schätzen der Weltmeere ist äußerst riskant

Sie wissen genau, was passieren wird, als aus der Dunkelheit vier englisch-holländische Kriegsschiffe auftauchen. Den Kontakt zu ihrer schützenden Flotte haben die Männer des portugiesischen Transportschiffs „San José“ verloren. Die halbe Mannschaft und der Steuermann liegen unter Deck, erkrankt an einem rätselhaften Virus. Auch Kapitän Francisco Mascarenhas hat es böse erwischt. So beschließen die übrig gebliebenen Seeleute trotz der zerfetzten Segel, der Brandschäden und des gebrochenen Hauptmasts den Fluchtversuch allein. Zurück an Land, wo die portugiesische Festung São Sebastião an der Küste von Mosambik Schutz bieten würde. Doch die Nacht des 23. Juli 1622 meint es nicht gut mit der Mannschaft. Am Riff verliert die steuermannlose „San José“ ihr Ruder. Das Schiff bricht auseinander und sinkt – 28 Meter tief. Für immer verloren.

 

384 Jahre später. Alejandro Mirabal und Nikolaus Graf Sandizell – man kann sie vereinfachend „Schatzsucher“ nennen – haben ihr Gitternetz über der Stelle ausgelegt, an der die „San José“ gesunken ist. Fünf Monate hatte es gedauert, bis der Metalldetektor endlich anschlug. „Rasenmähen“ nennt Sandizell das, weil man immer wieder akkurat und parallel seine Bahnen an der Wasseroberfläche zieht – so lange, bis Magnetometer und Sensoren anschlagen. Ihr Schiff heißt „Zanj“, ein vierzig Jahre alter Kutter. Das Holz ist abgeschabt, die Farbe verdreckt oder abgeblättert. Durch die verölten Scheiben hat schon lange niemand mehr die Sonne gesehen. Im Bauch des Schiffes riecht es nach Diesel, geputzt wird nur sporadisch.

 

Der gebürtige Düsseldorfer Sandizell ist Vorstandsvorsitzender der Arqueonautas Worldwide, einer Gesellschaft, die sich mit dem Bergen von Schätzen beschäftigt. Rund 200.000 werthaltige Wracks, hat die Unesco ermittelt, liegen noch auf dem Grund der Weltmeere. Viele davon prall gefüllt mit Silbermünzen und chinesischem Porzellan.

 

Spätestens seit der Amerikaner Mel Fisher in den Achtzigern aus dem Wrack der „Nuestra Señora de Atocha“ Schmuck, Golddublonen und Silberbarren im Wert von 250 Millionen Euro barg, herrscht Goldrausch am Meeresboden. Doch bevor Gold und Silber zu heben sind, müssen die Schatzsucher erst mal Geld investieren. Viel Geld. Ins Blaue hinein. Denn niemand weiß, ob sich die Investition auch rentiert. Bis zu einer Million Euro können allein an Vorlaufkosten entstehen – für die oft langwierige Recherche in Archiven und die zentimetergenaue Abtastung des Meeres.

 

„Es ist eine Detektivarbeit, die vor Hunderten Jahren begann“, sagt Mirabal. Als irgendein Chronist einen Bericht an den König verfasste, in dem er die Umstände und den Ort des Untergangs festhielt. Selten kümmerte man sich um die Zahl der Toten, dafür umso detaillierter um die Ladung. Das ist die Basis jeder Schatzsuche. „Von zehn Wracks, die wir untersuchen, sieht eines so aus, also könne man eine Bergung riskieren“, sagt Sandizell. Verspricht das Schiff nicht mindestens Schätze im Wert von einer Million Euro, geht erst gar kein Taucher runter.

 

Trotzdem liegt auch der Arqueonautas-Chef manchmal daneben. Die 1770 vor den Kapverden gesunkene „Leijmuiden“ etwa versprach reichlich Goldbarren. Aber die Taucher fanden nichts. Schatzräuber waren schneller gewesen. „Über die Hälfte der Wracks, die wir finden, sind ganz oder teilweise geplündert“, sagt Sandizell. Ohne Investoren mit einem Faible für Risiko könnte niemand das Geschäft betreiben. Allein ein Tauchtag kostet 2500 Euro, egal ob gesucht werden kann oder nicht – wegen Sturm oder starker Strömung. Kapitalgeber können sich bei Sandizells Gesellschaft an einzelnen Projekten beteiligen. Eine Geldanlage, die allerdings nicht für Kleinanleger taugt. „Niemand sollte seine Altersvorsorge riskieren“, warnt der Geschäftsmann. Denn im Schatzsucher-Business kann alles passieren: Totalverlust oder Millionengewinn.

 

Immerhin: Durch die konsequente Vorgehensweise der Arqueonautas wird das Risiko minimiert. Sandizell geht nur in Gebiete, wo mehrere Wracks vermutet werden. „Auf nur ein Schiff zu setzen wäre reines Roulettespiel, bei zehn in einem Gebiet kann ich mir auch Fehlschläge leisten.“ Vor Mosambik hat seine Gesellschaft insgesamt 36 werthaltige Schiffswracks ausgemacht. An dreien wird derzeit gearbeitet. Alejandro Mirabal ist Sandizells oberster Angestellter, er ist der Projektleiter, der Mann vor Ort. Acht Monate im Jahr lebt der Meeresarchäologe und Biologe auf der Ilha de Moçambique, an einem Ort, den man von Europa aus erst nach zweitägiger Reise erreicht. Weit weg von geteerten Straßen, Multiplexkinos oder auch nur einem Supermarkt. Tagsüber wird der Strom abgestellt, gelegentlich auch das Wasser. „Es ist eine andere Realität, aber man gewöhnt sich daran“, sagt Mirabal, der Kubaner.

 

Vor seinem meeresbiologischen Studium war er einer der populärsten Soap-Stars seiner Heimat. Berühmt für seine azurblauen Augen. „Das größte Problem hier ist die Logistik, wir sind mitten im Nichts“, sagt Mirabal. Deshalb muss er sorgfältig vorbereiten, vieles doppelt und dreifach mitnehmen. Nachlieferungen dauern mindestens drei Wochen. „Wir müssen die Probleme vermeiden“, sagt er, „weil wir sie nicht lösen können.“

 

Eine erfolgreiche Schatzsuche besteht aus vielen kleinen Schritten. „Wenn nur einer nicht funktioniert“, sagt Sandizell, „fällt das ganze Projekt zusammen wie ein Kartenhaus.“ Nach der historischen Recherche folgen die Verhandlungen mit der zuständigen Regierung, die 50 Prozent an den gehobenen Schätzen für sich reklamiert. In einem Land wie Mosambik ist es wichtig, sich möglichst schnell auf die Eigenheiten einzustellen. Politik funktioniert hier anders. Um halb vier hat Sandizell einen Termin beim Gemeinderat, um fünf einen beim Bürgermeister der Ilha de Moçambique. Der residiert in einem alten Kolonialbau mit vier Meter hohen Wänden und einem staubigen Dachbodengeruch. Mit einer laut röhrenden Klimaanlage, zerschlissenen Sesseln und einem wuchtigen Safe in der Ecke. Sandizell redet eine halbe Stunde auf den Bürgermeister ein, versucht ihm mit deutscher Gründlichkeit seine Wünsche zu verdeutlichen. Der Bürgermeister hört zu. Immerhin. Ob etwas passiert, bleibt offen. Nachher, auf der Straße, wird Sandizell sagen, dass mit Schmiergeld alles viel runder laufen würde. Aber Korruption, das will er gar nicht erst anfangen. Bei seinem letzten Projekt auf den Kapverden wechselte die Regierung während der Bergungsarbeiten. Quasi über Nacht waren viele seiner Verträge hinfällig.

 

Am Ende der Kette steht die optimale Vermarktung, der Verkauf oder die Versteigerung von Artefakten und Münzen. So ein Projekt verlangt viele Experten. Weil Sandizell nicht in einer Person Historiker, Taucher, Seefahrer, Bankier und Verkäufer sein kann, sucht er sich Hilfe von Fachleuten wie den international renommierten Meeresarchäologen Margaret Rule und Mensun Bound von der Universität Oxford. Auch das ist ein Grund, warum er mit seinen Arqueonautas mittlerweile zu den vier weltweit erfolgreichsten Explorationsunternehmen zählt. Über die Jahre haben Sandizell und seine Taucher aus 16 Wracks fast 100.000 Münzen und 7000 Artefakte geborgen.

 

Als er vor gut zehn Jahren Chef der Gesellschaft wurde, hatte Sandizell viele der bis dahin gelaufenen Schatzsuchen detailliert analysiert. „Wobei mich vor allem diejenigen interessierten, die gescheitert sind. Und die Gründe dafür“, sagt er. Die fand er oft darin, dass die meisten Unternehmen „One-Man-Shows“ sein wollten, was der Komplexität der Aufgabe nicht im Geringsten gerecht wird. Während Sandizell die Geschäfte von Lissabon aus führt, überwacht Mirabal das Team vor Ort. Viele Taucher kommen aus Kuba, andere aus Frankreich, Holland oder Israel. Acht Monate sind sie hier, am allerletzten Ende der Welt. Die Familie ist weit weg. Die Privatsphäre bilden ein knarziges Holzbett mit Moskitonetz im 4-Mann-Zimmer, ein paar zerlesene Taschenbücher und ein Stuhl für die Klamotten. Der einzige Luxus ist ein Satellitenfernseher. „Du musst hier alles vergessen, was du weißt, und bei null anfangen. Wie Robinson Crusoe“, sagt Taucher Faure. „Ob man hier Spaß haben kann, das hängt von der Vorstellung ab, die man von ,Spaß haben‘ hat“, sagt Teamleiter Mirabal. Diese Vorstellung sollte jedenfalls nicht sehr weit über eine Art Disco mit infernalisch scheppernden Lautsprechern und billigem Bier der Marke „2M“ hinausgehen.

 

Die „San José“ liegt acht Stunden von der Küste entfernt. Für die Arbeiten dort bleibt man mindestens zehn Tage vor Anker, solange Wasser und Tiefkühlvorräte reichen. Sechs Stunden täglich sind die Männer unter Wasser. Von Entdeckergeist ist da wenig zu spüren. „Du bist nicht da unten, um etwas zu finden, du suchst einfach nur ein Planquadrat ab. Eins nach dem anderen“, sagt Taucher Alejandro Mirabal junior, der Sohn des Teamleiters. „Machst du es einmal, ist es cool, machst du es jeden Tag, ist es ermüdend.“ „Wracks“, sagt Sandizell, „sind nicht so, wie es sich der Laie vorstellt“, also ein dreidimensionaler Schiffskörper, „wo vielleicht noch ein Skelett am Steuerrad steht.“ Ein Schiffswrack ist meist vollständig platt gewalzt, „wie mit einem Nudelholz“. Es ist – je nach Strömung – mit mehreren Schichten Sediment bedeckt und die Ladung im weiteren Umkreis verteilt. Bei der „San José“ nicht weniger als 3,8 Kilometer weit. So groß muss man das Raster legen und dann jedes einzelne Planquadrat umgraben. Zwar nutzen die Taucher den Airlift, eine Art Unterwasser-Staubsauger, mit dem das Sediment und der Sand kubikmeterweise abgetragen werden können, aber sobald sie auf etwas stoßen, müssen sie mit den Händen weitermachen. Um bloß nichts zu beschädigen. Das zehrt.

 

Dazu kommen die herkömmlichen Gefahren beim Tauchen. Boris wurde einmal von zwei Haien umkreist, immer enger und enger, bevor sie glücklicherweise abzogen. Kollege Ramiro hatte immerhin eine Harpune dabei. Er konnte den angreifenden Hai töten. Manuel brachen zwei Rippen, als er von einer Riesenschildkröte gebissen wurde. Dazu permanent das teils hochgiftige Kleingetier, rasierklingenscharfe Muscheln und Quallen. Trotz aller Gefahren – einen anderen Job will an Bord der „Zanj“ keiner machen. Youri, dessen Frau und zwei Kinder in Havanna leben, sagt: „Dinge zu finden, die seit 400 Jahren keiner gesehen hat, das ist romantisch.“ Immer wieder entdecken die Taucher skurrile Gerätschaften. Dinge, von deren Existenz sie nie zuvor gehört haben. „Am interessantesten ist oft die Bordapotheke“, sagt Sandizell. „Auf einem Wrack von 1648 fanden wir eine Pumpe, mit der man bei Magenbeschwerden Rauch in den Darm geführt hat. Man dachte, das reinigt.“

 

Bis die „San José“ endlich gefunden war, hatten Sandizells Mitarbeiter zwei Jahre in Archiven von Sevilla bis Goa recherchiert. Fünf Monate dauerte dann noch die Suche nach dem Wrack. Heute, nach einem Jahr Bergung, haben die Schatzsucher gerade mal 15 Prozent der vermuteten Ladung ausgegraben. Aber das sind immerhin schon 25.000 Silbermünzen im Wert von 4,5 Millionen Euro. 140.000 weitere Münzen vermuten die Männer noch am Meeresgrund. Es könnte ihr größter Fund werden. Könnte.