April 2019 / Werben&Verkaufen / Text

Hans sucht neues Glück

Die Burgerkette Hans im Glück ist zu schnell gewachsen, um auf Dauer sexy zu sein. Der neue Marketingleiter Peter Prislin soll's richten.

Es kommt auf die Kleinigkeiten an. Peter Prislin hält den milchigweißen Strohhalm zwischen Zeigefinger und Daumen, dreht ihn, zwirbelt ihn, drückt ihn. Ein ganz ordinärer Trinkhalm eben. Aber eben doch nicht. Denn er ist nicht aus Plastik, sondern aus Zuckerrohr und Pflanzenfasern. Und zu 100 Prozent biologisch abbaubar. Aber auch teurer als ein ordinärer Plastikhalm. Prislin ist bei Hans im Glück als CMO zuständig für das Marketing, und so scheinbare Marginalien wie der Trinkhalm sind zentrale Punkte seiner Arbeit.


Der Kunde, der Gast von heute, achtet auf die Kleinigkeiten, die Summe der Kleinigkeiten macht das große Ganze aus. Und den Erfolg. Bei Hans im Glück verkauft man eben nicht nur Hamburger und Cocktails, sondern auch das gute Gefühl, sich vernünftig zu ernähren und sich dabei halbwegs anständig gegenüber der Umwelt zu verhalten.


Hans im Glück ist eine Erfolgsgeschichte. Eine märchenhafte, wird dann oft dazugeschrieben, weil es halt so gut passt. Dabei wird im namengebenden Märchen der Brüder Grimm etwas ganz Konträres erzählt. Der brave Hans bekommt als Lohn für sieben Jahre harte Arbeit einen Goldklumpen, tauscht ihn munter gegen immer andere Dinge ein, wobei er sich schrittweise im Wert verschlechtert. Schließlich lässt er das letzte Tauschobjekt in einen Brunnen fallen und hat gar nichts mehr. Doch damit ist er dann endlich wieder so glücklich wie am Anfang.

 

Die Geschichte des Münchner Burgerbraters sieht anders aus. Im Jahr 2010 wurde der erste Laden eröffnet, 2018 schon der 66. Es gibt mittlerweile Filialen in allen großen deutschen Städten, in Österreich, der Schweiz – und in Singapur. Der Umsatz stieg im vergangenen Jahr auf 120 Millionen Euro, das sind 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Und 2019 kommen weitere 25 Standorte hinzu. Der Goldklumpen ist nicht weg, es werden immer mehr. Und das ist Teil des Problems, das Peter Prislin lösen soll. Aus dem angesagten Burger-Rebellen von einst ist ein stinknormaler Systemgastronom geworden – ein klassischer Fall für die Markenkommunikation.

 

Prislin hatte Hans im Glück von Anfang an im Blick. Auch das ist mehr als eine Floskel, befand sich doch sein Büro bei dem Mobile-Marketer 12snap fast genau gegenüber dem ersten Hans im Glück in der Nymphenburger Straße in München. „Ich war sehr dankbar, dass dort endlich mal ein anständiges Restaurant einzog“, erinnert er sich, damals in erster Linie im Hinblick auf seine Mittagspause.

 

Später, ab 2012, war Prislin noch auf der anderen Seite der Systemgastronomie tätig, er verwaltete für Heye den Etat von McDonald’s. An das Verspielte von Hans im Glück erinnert er sich noch heute gern, die Birkenstämme mitten im Raum, die Schmetterlings-Wandtattoos, die ungewöhnliche Speisekarte, aber vor allem, „dass es dort Burger gab, die hochwertiger waren als die von McDonald’s“ – und das fand man damals noch nicht an jeder Ecke. Seither verfolgt er das „Better-Burger Konzept“ des Unternehmers Thomas Hirschberger, der vorher bereits mit Enchilada und Sausalitos systemgastronomisch reüssierte, mit großer Faszination.

 

Jenes erste Restaurant in der Nymphenburger Straße war 2015 der Anlass eines ersten Rechtsstreits mit der Designerin, die sich das Konzept mit den Birkenstämmen im Gastraum ausgedacht hatte, der bis heute bestehenden Corporate Identity von Hans im Glück. Damals bekam sie 10 000 Euro und forderte nun auch für jedes weitere eröffnete Lokal ein entsprechendes Honorar. Die Geschäftsleitung sah das anders, und so musste das Landgericht München entscheiden. Das Urteil fiel zugunsten der Restaurantkette aus. Erfreulich für Hans im Glück, weniger erfreulich, dass man erstmals negative Schlagzeilen kassierte.

 

Und es gab weiteren Ärger. Dem Lübecker Franchisenehmer Patrick Junge wurde im Jahr 2015 gekündigt. Es gab Reibereien mit der Auslegung der sehr genauen Vorgaben bei Hans im Glück. Junge machte sich mit seinen zwölf Restaurants selbstständig, sie firmieren seither unter dem Namen Peter Pane. Auch hier gab es jahrelanges Gezerre und einen unappetitlichen Rechtsstreit. „Ende des Märchens“, titelte die Süddeutsche Zeitung gar im Februar 2016. Schließlich einigte man sich im Herbst 2018 gütlich, kurz bevor das Oberlandesgericht München sein Urteil verkünden wollte. Details des Deals wurden nicht bekannt. Thomas Hirschberger stritt sich auch 2017 vor Gericht, diesmal mit den neuen Eigentümern von Sausalitos, die ihm vorwarfen, dort wichtige Kräfte zugunsten von Hans im Glück abgeworben zu haben. Juristische Plänkeleien, die dem Image nicht zuträglich waren. „Man darf den Gast nicht unterschätzen“, sagt Prislin, „der verfolgt sehr aufmerksam alles, was seine Lieblingsmarke betrifft.“

 

Denn Marke ist in der Systemgastronomie eben genauso wichtig wie Burger und Salate. Diese Form der Gastronomie befindet sich seit Jahren im Aufschwung. Überhaupt geht man in Deutschland derzeit sehr gern auswärts essen. Oder wie es Peter Prislin ausdrückt: „In meiner Kindheit ging man zum Essen, wenn es etwas zu feiern gab, heute, weil nichts im Kühlschrank ist.“ Der größte Player im Markt der Systemgastronomie ist erwartungsgemäß McDonald’s mit 3,3 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2017 – in 1480 Betrieben. Obwohl dem klassischen Fast Food schon der Untergang prophezeit wurde, geht es dort nach zwei Jahren des Wachstumsrückgangs (2013 und 2014) auch wieder aufwärts. In der Top Ten folgt mit weitem Abstand Burger King auf Platz zwei, dann die Lufthansa Service Holding (LSG Sky Chefs), Autobahn Tank & Rast sowie die US-amerikanische Kette Yum mit Marken wie Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut.

 

Im Sog dieser vielen bekannten Fast-Food-Marken aber hat sich längst eine Systemgastronomie etabliert, die höhere Standards anstrebt. Dazu zählt sich auch das Unternehmen Hans im Glück, das in der Rangliste von 2017 (die Zahlen für 2018 erscheinen erst noch) auf Platz 30 liegt. Tendenz steigend. Ein Vorteil der Systemgastronomie liegt für Sandra Warden, Geschäftsführerin der Fachabteilung Systemgastronomie im Dehoga-Bundesverband, ganz klar in der Effizienz. Sei es im „Margenvorteil beim Einkauf“, aber eben auch, „weil sie für den ganzen bürokratischen Kleinkram eine Personal-, eine Technik- und eine Rechtsabteilung haben – was für einen Einzelkämpfer, der die gleichen Probleme zu lösen hat, viel schwerer ist“.

 

Der zweite große Vorteil liege im Marketing. „Wenn ich multipliziert bin, ist es leichter für mich, mich den Gästen bekannt zu machen. Und sehr viele Gäste schätzen es, wenn sie ein bekanntes und bewährtes Produkt besuchen können, wo sie wissen, was sie erwartet“, sagt Warden.

 

Peter Prislin ist der aktuelle Erfolg der Systemgastronomie fast etwas unheimlich, erklären kann er ihn sich nicht. „Es ist wohl eine Sehnsucht danach, zu wissen, was man bekommt, verbunden mit etwas Besonderem. Das scheint ein gesellschaftliches Thema zu sein.“ Was er aber sicher weiß: „Die Menschen essen wahnsinnig gern, sie geben auch mehr Geld für Essen aus, erwarten aber Qualität. Und bei Systemgastronomen bekommen sie gute Qualität für einen okayen Preis.“

 

Dabei ist Deutschland noch ein Entwicklungsland, was die Systemgastronomie betrifft. Den Anfang hatte zwar schon 1955 der Österreicher Friedrich Jahn mit seinen Hendln im Wienerwald in München gemacht, bevor im Jahr 1965 die Schweizer Mövenpick-Gruppe ihr erstes Restaurant in Frankfurt eröffnete. Erst im Dezember 1971 enterte McDonald’s in München den deutschen Markt, gefolgt von Burger King fünf Jahre später in Berlin.

 

Verglichen mit den USA oder Großbritannien, wo es fast nur noch solche Ketten gibt, dominieren in Deutschland aber bis heute die Einzelgastronomen. „Selbst in Frankreich, dem Heimatland der Gourmetgastronomie, gibt es sehr viel mehr Kettenbetriebe als hier“, sagt Sandra Warden.

 

Wo also der Systemgastronom noch einiges Potenzial sieht, da fürchten andere das Verschwinden der Individualität. Inhabergeführte Restaurants und Gaststätten leiden unter der Marktmacht der Systemer oder müssen schließen. Auch wenn sich Warden wie viele Gäste wohl auch wünscht, „dass wir die differenzierte Struktur in Deutschland weiter bewahren können“, so tun sich Einzelkämpfer eben schwer. Was gerade auf dem Land und gegen den Trend zu einem Wirtshaussterben führt. Aber auch Warden weiß: „Letztlich müssen die Gäste entscheiden, was sie wollen.“

 

Dabei sind die Grenzen zwischen Einzelgastronom und Kette nicht immer so eindeutig. Ist der Wirt, dem mehrere Gaststätten gehören, bereits ein Systemgastronom oder noch ein Einzelunternehmer? Und: Auch große Gastrokonzerne setzen oft auf viele kleine Marken. Die wirken dann in der Fläche gar nicht mehr so präsent und suggerieren damit Individualität.

 

Hans im Glück muss das nicht kümmern. Peter Prislin räumt sogar ein: „Wenn man den besten Burger möchte, entscheidet man sich für den lokalen, kleinen Grill. Die können das dort wahrscheinlich am besten, schon aufgrund ihrer Größe.“ Er sagt aber auch: „Wenn man ausgehen will, in netter Atmosphäre und zu überschaubaren Preisen, aber dennoch mit Qualität, dann wird man sich für Hans im Glück entscheiden.“ Die Konkurrenz seien also weder McDonald’s noch der lokal agierende Burgergrill, sondern andere systemgastronomische Full-Service-Konzepte wie L’Osteria oder Coa. Full Service bedeutet: mit Bedienung und in gediegenem Ambiente.