Dezember 2002 / Frankfurter Allgemeine / Text

So nah und doch so fern

In einer Enklave auf dem Gelände des FC Bayern bewahrt der FC Sportfreunde seinen Stolz

„Ich zahl’ nächste Woche“, sagte Lothar Matthäus, nachdem er sein Weißbier getrunken hatte. Er war in Eile. Schon in Ordnung, dachte Mike Uhl, und im Stüberl ging alles weiter wie immer. Uhl ist Präsident und Teilzeitwirt des FC Sportfreunde München, und das Stüberl ist ihr Vereinslokal. Ein winziger Raum, in dem nur Platz ist für einen großen Tisch, ein paar Stühle, eine Eckbank. An der Wand hängen fünf Urkunden in rahmenlosen Bildhaltern, in der Ecke klemmt eine selbstgezimmerte Theke, in einer ungeputzten Vitrine stauben Messingpokale ein. Durch eine Schiebetür geht es in die Umkleide.

 

Der FC Sportfreunde München. Ein Amateurverein im Münchner Süden, dessen erste Mannschaft sich im unteren Mittelfeld der B-Klasse, Gruppe 2, herumplagt. Sonntagsfußballer mit ihrer immer etwas zu starken Verbissenheit, die auf Außenstehende so kurios wirkt. Nur der Nachbar sorgt dafür, daß der FC Sportfreunde doch kein normaler Verein ist. Nachbar ist irreführend, denn das Vereinsgelände des FCS ist eine Enklave im riesigen Areal der FC Bayern München AG, mit seinem weißen Gebäudekomplex, den roten Fensterrahmen, den verspiegelten Scheiben, dem permanenten Menschenauftrieb. Eine Antithese, wie sie größer nicht sein kann. Die Sportfreunde sind das Gegenteil des FC Bayern. Berührungen zwischen den Welten gibt es nur selten. Etwa wenn die Bayern-Stars auf ihren Trainingsplatz stapfen und stehenbleiben, um ein paar Minuten den Fußball vom anderen Ende der Ligenpyramide zu betrachten – und zu kommentieren.

 

Als Stürmer Udo einmal den Ball weit am Tor vorbeischoß, feixte Zuschauer Giovane Elber: „Das hätte ich auch gekonnt.“ Aber nur Alexander Zickler kommt regelmäßig herüber, E-Jugend-Trainer Rocco Denami ist ein guter Freund.

 

Früher gab es mehr Kontakt zwischen hüben und drüben. Katsche Schwarzenbeck spielte in seiner Jugend bei den Sportfreunden. Hanne Weiner, ein solider Kicker aus den frühen Achtzigern, schaute immer wieder in der grünen Holzbaracke vorbei. „Der hat ein Bier getrunken, und wir haben dafür gesorgt, daß ihn keiner anspricht“, sagt Mike Uhl. Lothar Matthäus kam tatsächlich nach Tagen und zahlte seine Schulden. Und Klaus Augenthaler genehmigte sich während eines spätabendlichen Auslauftrainings einen Abstecher zu einem Weißbier. Eines Tages stand ein Fremder im Stüberl, ein Fußballfan aus Kiel, der sich den FC Bayern ansehen wollte. „Wir haben ein Bier getrunken“, erzählt Uhl, „und es ist eine Freundschaft entstanden.“ Als der Mann München wieder verließ, war er Mitglied beim FC Sportfreunde. „Er zahlt regelmäßig seinen Beitrag.“

 

Früher, da drosch Klaus Augenthaler gelegentlich mal einen Ball über den Zaun; auch Raimond Aumann warf vor Jahren seine Torwarthandschuhe hinüber, als es dem Kollegen der Sportfreunde an der Ausrüstung mangelte. „Wenn heute mal ein Ball herüberfliegt, kommt gleich ein Bodyguard und holt ihn zurück“, sagt Rudi Böck, der Trainer, den alle „Radi“ nennen. Auch habe der FC Bayern schon mal die gesamte A-Jugend nach drüben geschickt, um die Bälle zu kontrollieren. Ein Jugendtrainer wußte sich zu helfen, hatte einen Edding dabei, und wenn ein Ball bei den Sportfreunden gelandet war, schrieb er „FCS“ drauf. Kavaliersdelikte.

 

Schließlich hat man durch die Nachbarschaft auch Nachteile. Mal flog vom Platz der Sportfreunde ein Ball auf die Säbener Straße. Ein Auto bremste, der Fahrer stieg aus, schnappte ihn sich und raste davon. „Der dachte, das ist einer vom FC Bayern, ein Souvenir“, glaubt Trainer Böck. Oder die Sache mit dem Parkplatz. Der gehört offiziell zur Hälfte den Sportfreunden. Sonntag morgens steht dann schon mal ein verrosteter roter Polo inmitten der Dienstwagen aus Ingolstadt. Die aber meistens ohnehin alles blockieren. Mike Uhl ärgert das: „Oft muß man fünfhundert Meter weit weg parken.“

 

Trotzig wirkt er, fast gekränkt, daß sich alle mehr für den Verein von nebenan interessieren und wegen der Scherereien, die der Trubel mit sich bringt. Jugendleiter Günther Gandl ist eher stolz, daß er „mit allen per du“ ist, und verrät geheimnisvoll: „Wenn man die richtigen Leute kennt, dann kommt man auch zum Hoeneß ins Büro.“ Er kennt sie. So hat er letzten Winter einen roten Fußball für Spiele auf Schnee bekommen.

 

An diesem Sonntag ist der SV Neuperlach zu Gast. Nur die Reserve allerdings, denn die Sportfreunde sind dorthin abgerutscht, wo kaum noch erste Mannschaften antreten. Karl-Heinz, ein hagerer Kerl mit Schnauzbart und zugekniffenen Augen, die davon zeugen, daß er zu früh aufgestanden ist, verlangt das Eintrittsgeld. Drei Euro von Erwachsenen, zwei von Frauen, Rentnern, Studenten. Die Spieler trudeln ein, die meisten rauchen erst mal. Man ist ja nicht nebenan.

 

Die Gäste dehnen ihre Muskeln am Zaun hinter dem nördlichen Tor. Dort machen sich alle Auswärtsteams warm und schauen neugierig und etwas verwirrt hinüber. Denn hinter dem Gitter trainiert der große Fußball. Auslaufen nach dem Samstagskick, auf pinzettengepflegtem Rasen, in adretter, einheitlicher Sportbekleidung. Im Grunde tun sie nichts anderes, Fußball spielen. Und doch könnte man sich kaum fremder sein.

 

Nicht nur Ottmar Hitzfeld, auch Radi, der nur wirklich vollständig ist mit einer räuchernden Virginia, hat Personalprobleme. „Ich hab’ so viele Schichtarbeiter“, jammert er und muß deshalb Altherrenspieler und Vereinskassierer Herbert in der Sturmmitte einsetzen. Am Ende hat man gegen die mit acht Spielern angetretenen Gäste 8:0 gewonnen. „Das war schlimm“, bilanziert Radi. Im Amateurfußball ist man selten zufrieden. Dazu ist der Anspruch zu groß und das Können zu gering.

 

Derweil sitzt Präsident Mike Uhl drinnen im Stüberl hinter einem vollen Aschenbecher, groß wie ein Suppenteller. Durchs Fenster sieht er ein Drittel des Platzes, was ihm reicht, um über das Spiel zu nörgeln. Sein Lieblingsthema aber ist der große Traum der Sportfreunde, gebündelt in drei sachliche Worte: „Kunstrasenplatz mit Wirtschaftsgebäude.“ Auf dem einzigen Platz, den der Verein besitzt, trainieren und spielen alle Mannschaften. So sieht er auch aus. Nur stellenweise sieht man eine Art Rasen, gelblich-grünes und sehr zähes Gewächs, mit den klassischen Tonsuren an belasteten Stellen. Seit die Sportfreunde Anfang der siebziger Jahre vom einen Ende des Geländes hierher zogen, will man die Zustände ändern: ein paar Meter weiter nach hinten ziehen, sich dort vom FC Bayern im Erbpachtverfahren den Kunstrasen samt Sportheim finanzieren lassen, der dann ein kleines Amateurstadion am jetzigen Spielplatz der Sportfreunde baut. „Der FC Bayern würde das lieber heute als morgen machen“, sagt Uhl, jetzt liege alles an der Stadt. Er müsse sich zusammenreißen, sagt er, „um nicht in Zynismus zu verfallen. Da kann man ein Buch drüber schreiben. Seit zwanzig Jahren sind wir hier als Zwischenlösung untergebracht und es passiert nichts“.

 

Dabei hätte es ganz schnell gehen können, wenn die Sportfreunde vor Jahren das Angebot des FC Bayern akzeptiert und sich angegliedert hätten. Undenkbar für die stolzen Amateursportler aus der elften Liga. „Dann hätten wir unsere Identität verloren, wären eine Nummer im Koordinationssystem des FC Bayern“, sagt Uhl. Man sei schließlich einer der wenigen Vereine mit eigenem Platz und Vereinsheim. Wenn’s auch nur eine grün angemalte Holzbaracke ist. „Wir sind unsere eigenen Herren, und das ist unser Stüberl, da machen wir was wir wollen“, sagt Trainer Radi Böck. Also arrangiert man sich mit dem Nachbarn und entwickelt Stolz, wo immer es geht. „Bayern München gut und schön“, sagt Präsident Mike Uhl, „aber die Talente der Umgebung, die spielen hier bei uns. Regional betrachtet, hat der FC Bayern keine Bedeutung.“