Oktober 2013 / NISSAN MAGAZIN / Text

Die kleine Sause

Slotracing ist Autorennen in Klein. Oder Spielzeug in Groß. Für kindliche Erwachsene oder erwachsene Kinder. Je nach Perspektive. In jedem Fall wird eifrig geschraubt, montiert und getunt – und mindestens so viel Herzblut investiert wie im „echten“ Rennsport. Ein Streckenbesuch

Der Armin, der Rolli, der Uwe, der Helmut, der Tobi und auch die Geli sind schon da. Der Bepfe kommt heut etwas später, aber auf den wartet man immer gern. Er ist doch der Stargast des Abends. Schließlich hat der Bepfe das Zeitmesssystem quasi erfunden: die Software, mit der sie nicht nur hier die Zeit nehmen, sondern die auch auf den meisten anderen Slotcarbahnen in Deutschland verwandt wird. Entwickelt von ihrem Bepfe. „Ach ja, da gab‘s noch nix g‘scheits, da hab ich‘s halt g‘macht“, sagt der 47 Jahre alte Augsburger, der eigentlich Stefan Vogel heißt, entwaffnend pragmatisch. Damals arbeitete er für ein Unternehmen, das Auto-Waschanlagen programmierte. Heute gehört ihm selbst eine Waschanlage.

 

Wir sind irgendwo und nirgendwo. Im Dauerregen von der Autobahn abgefahren, dann über verzweigte Landstraßen bis ins Gewerbegebiet eines Vorortes des Vororts (Bergkirchen) einer kleinen Kreisstadt (Dachau). Feldgeding heißt die Ansiedlung im weiteren Umkreis von München. Das Gewerbegebiet ist wie überall auch hier das Epizentrum der Tristesse. Vor allem freitags, wenn alles Leben schon im Wochenende ist. Wenn aber beim „Krautloher“, bei „TL Electronics“ oder bei „Theobald Lachner Holzbau“ das Licht längst aus ist, dann geht es hier oben erst an, in der ersten Etage einer unansehnlichen Fabrikhalle. Hier haben sich Bepfe und die anderen Mitglieder der „SlotRacers München“ (SRM) einen Jugendtraum erfüllt: eine Carrerabahn von gigantischen Ausmaßen. Natürlich ist es keine Carrerabahn, sondern eine eigens angefertigte (und damit teure) Holzbahn für Slotcars.

 

Aber der stehende Begriff aus jedermanns Kindheit macht anschaulich, was das hier ist: eine Carrerabahn für Erwachsene. Oder Rennsport im Kleinen. Es gibt derlei Anlagen in ganz Deutschland, manche sind schlicht und pragmatisch, andere aufwendig ausgebaut mit Zuschauertribünen, Boxengassen, Bäumen und anderem Schnickschnack. Die Bahn im Münchner Outback ist 45 Meter lang und hat sechs Spuren. Der einzige Schmuck sind zwei windschiefe Plastikfiguren, die auf einem Grasimitatstreifen reichlich verloren wirken – als wollten sie sagen: Das hier ist Sport und kein Modellbau.

 

Gemein ist allen Bahnen das Publikum: kindliche Erwachsene, die zur infantilen Begeisterung das technische Know-how ihrer vierzig oder fünfzig Lebensjahre addieren. Denn Slotcars bieten einen Hauch von großen und teuren Rennen. „Es ist der Motorsport für den kleinen Mann“, sagt Arnold Lehnert, der Chef der kleinen Renngemeinschaft. Denn wie bei Vettel & Co. kommt der Vorbereitung der Fahrzeuge, der Fahrwerksabstimmung, der Reifenwahl und auch gewissen Fahrkünsten eine große Bedeutung zu. Um gut zu sein, muss man viel Zeit investieren – wie im richtigen Sport eben.

 

Grundlage jedes Slotcars ist der „Deckel“, also die Plastik-Karosserie, die den handelsüblichen 1:24-Modellbausätzen entnommen wird. Der Rest des Bausatzes wird weggeworfen. Die „Deckel“ werden nach Gusto beklebt und bemalt, denn in manchen Rennserien wird neben Geschwindigkeit auch die Schönheit der Modelle bewertet. „Da geht es dann bis zur korrekten Prägung des Schaltknüppels“, weiß Arnold Lehnert, und solche Modelle sind dann bis zu 1500 Euro teuer. Es gibt Serien, da kostet ein Motor 300 Euro, und der hält gerade mal die Qualifikation durch. Dafür sind solche Slotcars bis zu 80 km/h schnell. Der Irrsinn in Miniatur.

 

Die Modelle, die in Feldgeding ge- fahren werden, sind kein solcher Luxus. Der 17,5 Volt-Motor, der aus Netzteilen an der Bahn gespeist wird, kostet acht Euro, ein Satz Reifen zwölf. Heute
steht ein Rennen der SLP-Serie auf dem Programm – SLP wie „Slotcar Langstrecken Pokal“. Das heißt nicht nur, dass Modelle aus realen Langstreckenserien verwendet werden, etwa heute Abend der Le-Mans-Veteran Nissan R89C, sondern es geht hier auch eine volle Stunde und über 500 Runden lang zur Sache. Insbesondere bei diesen Langstreckenrennen sind die Nissan „Deckel“ sehr beliebt, weil die Aerodynamik „perfekt“ und die Maße „optimal“ sind.

 

Für 21 Uhr ist der Start anberaumt, etwa drei Stunden vorher treffen die Ersten ein. Es folgen geheimbündlerische Abläufe. Hier wird nicht viel gesprochen, hier weiß jeder, was er zu tun hat und was passiert. Und jeder, der kommt, trägt einen rechteckigen Holzkasten von der Größe eines Arztkoffers herein. Dieser Kasten enthält alles, was die Männer heute Abend brauchen: parkgaragenartig angeordnet links und rechts die „Deckel“ im Maßstab 1:24, dazu verschiedene Schublädchen. Einige sind übervoll mit winzigen und winzigsten Schrauben. Dazu im Koffer: Schraubendreher, Steckschlüssel, Schere, Feilen, etwa zehn Klebstoffe, Zahnspangen-Gummis, Feuerzeug-Benzin, eine Waage, Ritzel und Zahnräder. Und ein Skalpell, ein echtes, denn nichts schneidet so akkurat auch kleinste Teile entzwei. All das braucht man, um das Chassis und die Achsen, die das Herzstück eines Slotcars sind, zu justieren.

 

Andreas Pospiech ist 51 und seit einem Jahr dabei. Er hat als Einziger im
Verein eine Reifenschleifmaschine, mit der er die Moosgummi-Pneus in Form bringt. „Manche machen da eine brutale Wissenschaft daraus“, sagt er, ohne von seiner Maschine aufzublicken, die wie ein Zahnarztbohrer surrt. Hart oder weich, rau oder glatt, rund oder eckig, jeder hat seine Philosophie. „Wenn man viel Grip hat, sollte man die Reifen eckig machen, sonst fängt das Auto zu kippeln an“, weiß Max Huber, der andere Star der „SlotRacers München“. Er ist erst 17 Jahre alt, fährt aber auf nationalen Meisterschaften mit. 2012 wurde er Bayerischer SLP-Meister.

 

Das harte Neonlicht beleuchtet müde Gesichter von Männern, die eher nach innen leben als nach außen. Für viele ist das hier der Höhepunkt ihrer Woche. Und da gilt es, konzentriert zu arbeiten. Geli, die Gattin von Arnold Lehnert und überhaupt einzige Frau in diesem doch sehr männlich geprägten Tun, steht hinter einer Theke. „Wasser, Bier, Spezi, Kaffee, wir haben alles da“, sagt sie stolz. Am besten geht das Bier für einsfünfzig. Geli nimmt auch die Bestellungen entgegen für später, wenn beim Lieferservice noch Pizza geordert wird. Während noch immer Männer mit Holzkästen hereinkommen, fahren die ersten schon ihre Proberunden. Ein bisschen riecht es nach Schweiß, an den Scheiben bildet sich ein Tropfenfilm. Ein Fenster oder die Tür aufzumachen, auf die Idee käme trotzdem keiner. Und das hat Gründe.

 

Sechs Fahrer stehen aufgereiht an der Bahn, denn die Buchsen, in die sie ihre Regler einstecken, befinden sich allesamt dort. Die Regler sind natürlich auch so eine Wissenschaft für sich. Drei Rädchen sind da zu sehen, jedes verfügt über die Stufen von „1“ bis „10“. Mit „Brake“ kann man die Stärke des Bremsverhaltens einstellen, mit „Reduction“ den Strom im Zwischenbereich reduzieren, mit „Sensitivity“ das Ansprechverhalten beim Gas geben. Je rutschiger die Strecke ist, desto niedriger sollte man den „Sensitivity“-Knopf einstellen. „Jede Bahn hat ihren eigenen Rhythmus“, sagt Arnold Lehnert, der dafür sorgt, dass hier alles rundläuft. Er schließt auf und er schließt ab, er pflegt die Website, er sorgt dafür, dass genug Geld reinkommt, um die Miete zu zahlen und um die Bahn in Schuss zu halten. Und auch das ist nicht zu unterschätzen. Bald muss eine Kurve ausgetauscht werden, die Spuren sind ausgeleiert. Das muss ein Schreinermeister erledigen, kosten wird das wohl rund tausend Euro.

 

Viertel vor neun wird es langsam ernst. Die Schraubereien neigen sich dem Ende zu, denn die technische Abnahme steht an. Danach müssen alle Modelle auf einem Regalbrett abgestellt sein und dürfen nicht mehr berührt werden. Da sind die Regeln streng. Die Abnahme läuft routiniert ab, auch hier wird nichts erklärt oder gesprochen, sondern einfach erledigt. Das Slotcar wird gewogen (Mindestgewicht: 200 Gramm), anschließend werden die Reifen und Achsen vermessen (Spurbreite 84 Millimeter). Alles bestens, bei allen. Es kann losgehen.

 

Die Anspannung ist überschaubar. Stoisch stehen die ersten sechs Starter
an der Längsseite der Bahn und halten ihren Regler auf Bauchhöhe. Wenn das Rennen gestartet ist, folgt jeder der sechs (auf jeder Spur fährt einer) einer eigenen Choreografie. Sie fahren die Strecke mit, jede Kurve, jede Beschleunigung wird nachvollzogen – oder vorweggenommen. Bei manchem sieht man es im Gesicht, andere legen den Kopf schief – wie Forrest Gump im gleichnamigen Film
– und wieder andere fahren die Strecke mit dem ganzen Oberkörper, als würden sie ohne Musik tanzen. Siiiirrrt – das surrende Geräusch wird die nächsten drei Stunden einen Klangteppich in den Raum weben, monoton und einschläfernd. Jeweils zehn Minuten geht das so, dann wird die Bahn getauscht, damit keiner benachteiligt ist. Jeder fährt sechs Mal zehn Minuten und versucht dabei, so viele Runden wie möglich zu schaffen.

 

Plötzlich ruft einer „Chaos“. Ein Auto ist aus der Spur geflogen und blockiert die Strecke. Sofort wird der Strom von der Bahn genommen und die Zeit gestoppt, bis der havarierte Wagen wieder in der Spur steht. Weiter gehts. Siiiirrrt. Einer der Pausierenden geht auf die Toilette und lässt die Tür zu lange offen stehen. Zugluft weht herein, die Akteure blicken böse herüber. Einige zetern lautstark und zeigen erstmals am Abend auffällig Emotionen. Denn kalte Luft verändert den Grip der Bahn. Und Grip ist alles. Alles.

 

Die kleinen Modelle sausen um
die Haarnadelkurven, schlagen Ha-
ken wie Hasen auf der Flucht, ohne zu schleudern und zu driften. Da wird klar, wie beachtlich die Kunstfertigkeit der schweigsamen Männer an den Reglern ist. Denn die Slotcars werden allein mittels des fingernagelgroßen Keils unter der Vorderachse in der Spur gehalten. Alles andere ist Können des Lenkers. Und Grip. „Wenn du schnell sein willst, musst du immer an der Haftgrenze fahren“, sagt Bepfe. Er wird Fünfter. Gewonnen hat am Ende ein Junior, der 17 Jahre alte Tobi Münchberger. Er schaffte am Ende 528,05 Runden, fast hundert mehr als der Letztplatzierte.
 Er fuhr also fast 24 Kilometer weit.

 

Kurz nach Mitternacht stapfen
die Männer hinaus auf den Parkplatz. Regenpfützen haben sich im welligen Asphalt gebildet. Die Holzkisten werden in Kofferräume verstaut und einer nach dem anderen fährt davon. Das Endergebnis werden sie morgen im Internet nachlesen. 31 Seiten lang ist das Dokument auf der Vereinswebsite. Jede Rundenzeit ist vermerkt. Bis auf drei Stellen nach dem Komma. Bepfe sei Dank.